Eine Angehörigenproblematik
Verschiedene Gruppen sind als Angehörige von Sucht betroffen: Kinder, erwachsene Kinder, Partner, Eltern, Geschwister, Freunde, Arbeitskollegen, Suchthelfer etc. Die Betroffenheit hat zwar viele Gesichter, doch es gibt nur eine Angehörigenproblematik. Das möchte ich Ihnen erläutern. Es gibt zwischen den Betroffenengruppen eine große Schnittmenge: Suchttraumatisierte Mädchen - nicht Jungen - zeigen als erwachsene Frauen eine Neigung, sich suchtkranke Partner zu suchen (Schuckit et al. 1994; Olmstedt et al., 2003). Aus diesen abhängigen Partnerschaften gehen wiederum sucht- und co-abhängig gefährdete Kinder hervor. Die Mehrheit der Partnerinnen und Mütter - auch, doch seltener Partner und Väter - die ich in über 20 Jahren Angehörigenarbeit behandelt habe, ist biografisch schon durch eine Kindheit in einer Suchtfamilie vorbelastet gewesen.
Die transgenerative Weitergabe nenne ich die co-abhängige Transmission (» Transmission). Die Mädchen lernen von den psychisch labilen Müttern die co-abhängige Selbstlosigkeit, Verantwortungsübernahme und Selbstaufopferung. Auch Partner und Eltern, die sich verstrickt haben und nicht aus Suchtfamilien stammen, leiden an diesen co-abhängigen Schemata. Die psychosozialen Probleme von betroffenen Kindern, Partnern und Eltern sind im Prinzip dieselben. Aus diesen Gründen wird die Angehörigenproblematik auf dieser Website ganzheitlich betrachtet und behandelt.
Suchthelfer sind Angehörige
Bevor ich mich ambulant als Psychotherapeut niedergelassen habe, habe ich lange als Suchttherapeut gearbeitet. Damals habe ich nach und nach begriffen, dass die Themen und Probleme der Angehörigen analog den beruflichen Herausforderungen der Suchthilfe sind. Die therapeutische Arbeit mit Angehörigen ist Psychohygiene für Suchthelfer. Indem ich Angehörigen geholfen habe, klarer zu werden, sich besser abzugrenzen und mehr Selbstzuwendung und -fürsorge zu entwickeln, habe ich implizit gelernt, mich als Suchttherapeut konsequenter von den süchtigen Forderungen und Übertragungen abzugrenzen und sowohl die Sorge für die süchtige Klientel als auch die Selbstfürsorge im Berufsalltag besser auszubalancieren. Die Angehörigenarbeit hat mir geholfen, nicht auszubrennen und hart und zynisch zu werden, eine häufig zu findende Form der psychischen Beschädigung von Suchthelfern.
Der Begriff Angehörige wird als eine Kategorie verwendet, unter die auch Suchthelfer fallen. Alle Inhalte dieser Website richten sich gleichermaßen an familiär und beruflich Betroffene.
Angehörige von psychisch kranken Personen
Warum beschränkt sich diese Website auf das Angehörigenthema der Sucht? Angehörige von depressiv, angst- oder persönlichkeitsgestörten Personen sind doch auch von Stress, Vernachlässigung und Übergriffigkeit betroffen. Zunächst muss ich zweierlei klarstellen: Suchterkankungen sind psychische Störungen. Zumeist gibt es eine primäre psychische Erkrankung, z.B. eine Depression, Angststörung oder Persönlichkeitsstörung, und der Suchtmittelmissbrauch ist ein Versuch, die primäre Störung zu bewältigen. Kurzfristig schafft der Konsum zwar Entlastung, langfristig allerdings verschlimmert er die primäre Problematik und schafft immense Folgeprobleme. In der Verleugnung der eigenen Störung, der süchtigen Manipulation und Beschuldigung und der suchtmittelenthemmten Gewalt entwickeln Suchterkrankungen zerstörerische Auswirkungen auf das soziale Umfeld, welche bei anderen psychischen Störungen in der Stärke und dem Ausmaß nicht zu finden sind.
Bitte missverstehen Sie mein Argument nicht, es beschreibt nur eine Wahrscheinlichkeit. Ihre konkrete, individuelle Situation kann ganz anders aussehen. Diese Website muss inhaltlich begrenzt werden, damit sie nicht ausufert und beliebig wird. Diese Entscheidung hat Vorteile, sie hat aber auch Nachteile. Die Problematik von Angehörigen psychisch kranker Personen wird auf CO-ABHAENIGIG.de implizit berücksichtigt. Sind Sie als Angehörige in diesem Sinne betroffen, sind Sie eingeladen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkunden.
Illustrationen
Die Illustrationen von Prinzessin & Frosch, welche diese Website schmücken, sind von Sina Gruber, eine junge Künstlerin und Studentin der Psychologie aus Kassel. Die 23 Werke entstanden 2013 auf Grundlage des Manuskriptentwurfs zum Ratgeber "Ich will mein Leben zurück!"
Anliegen
Co-abhaengig.de habe ich 2010 eingerichtet, als mein erstes Fachbuch zum Thema herauskam. Damals hat es im deutschsprachigen Raum kaum informative Internetrepräsentationen zum Thema gegeben. Seitdem sind zwei weitere Fachbücher entstanden, ich habe eine Reihe an Artikeln verfasst, unzählige Vorträge gehalten, Interviews gegeben und Workshops und Fortbildungen zum Thema durchgeführt. Darüber hatte ich viele bereichernde Begegnungen zu Betroffenen wie auch zu anderen, in der Sache engagierten Fachleuten. Es sind kleinere und größere, kurz- und langfristige Kooperationen zustande gekommen. Vor allem aber habe ich von meinen Klienten gelernt. Ihre Erfahrungen sind für mich Geschenke. Ich bin dankbar, dass ich an ihren Entwicklungen, sich zu befreien und ihr Leben zurückzuerobern, teilhaben darf.
So ist aus dem in der Freizeit gepflegten Steckenpferd mein heutiger Arbeitsschwerpunkt geworden. Mit diesem Prozess ist auch die Website peu à peu gewachsen. Motiviert durch die Kooperation mit der Kollegin und Mitautorin Frau Judith Barth, habe ich mit dem Jahreswechsel 2020/21 alle Inhalte gründlich überarbeitet, Design und Navigation erneuert und viele neue Seiten hinzugefügt. Das Motiv für mein Engagement hat sich in all den Jahren nicht verändert: Ich möchte über eine tabuisierte Thematik informieren und zum kritischen Nachsinnen und konkreten Handeln anregen. Darüber hinaus gestalte ich die Website eigenständig und unabhängig und verfolge damit keine wirtschaftlichen, institutionellen oder sonstigen Interessen.