Wenn Helfer hilflos sind, hilft nur Hilfe für die Helfer.

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Hilfe für Helfer

Die Angehörigenproblematik der Sucht hat viele Gesichter. Je nach Ausmaß der Belastungen und Traumata, den konkreten Auffälligkeiten und Beschwerden, dem biografischen und aktuellen Lebenshintergrund und weiteren psychosozialen Problemen benötigen Betroffene differenzierte und flexible Unterstützung, Beratung oder Therapie, um sich aus den Verstrickungen zu befreien, Unabhängigkeit zu erlangen und das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen. Folgend werden Ihnen verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, Unterstützung bei anderen Personen und professionellen Stellen zu finden.

Hinweis: Diese Seite basiert auf dem siebten Kapitel des Ratgebers "Ich will mein Leben zurück!"

In den allermeisten Fällen werden Sie als Angehörige Verständnis und Unterstützung von Familie und Freunden erfahren. Vielleicht gibt es auch eine andere Vertrauensperson in Ihrem Umfeld, ein Mitschüler, ein Vertrauenslehrer, ein Arbeitskollege, ein Sozialarbeiter oder ein Seelsorger, an die Sie sich wenden können. Und sollte Ihre Problematik als Angehörige kompliziert sein, ist es am besten, wenn Sie sich gleich an mehrere Personen richten, damit ein Hilfenetzwerk Sie auffangen kann. Entscheidend dabei ist, dass sich die ausgewählten Personen solidarisch um Sie kümmern und Sie Ihre Helfer nicht (co-abhängig) benutzen, um noch besser auf den Suchtkranken Einfluss zu nehmen. Es geht allein darum, dass Sie für sich liebevolle Zuwendung und persönliche Klärung erfahren.

Der Suchtbereich hat, wie kein anderes psychosoziales Hilfesystem in Deutschland, über viele Jahrzehnte eine flächendeckende Selbsthilfe entwickelt und etabliert. Es gibt heute eine Vielfalt an Selbsthilfeorganisationen mit mehr oder weniger unterschiedlichen Herangehensweisen. Im Kern geht es in der Selbsthilfe darum, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und dabei Zuwendung, Verständnis und Beratung zu finden. Oftmals werden die Angehörigen in die Suchtselbsthilfegruppe integriert, es gibt aber auch Gruppen ausschließlich für Angehörige. Da es allgemein an Konzepten zur Angehörigenarbeit mangelt, ist die Arbeitsweise der Selbsthilfegruppen stark geprägt von den jeweiligen GruppenleiterInnen. Leider geht es nach meinen Erfahrungen in vielen Selbsthilfevereinen und -gruppen allzu häufig vorrangig um die Suchtkranken bzw. das Thema der Sucht. Ein ausgearbeitetes, angehörigenzentriertes Konzept der Selbsthilfe habe ich bislang ausschließlich bei den Al-Anon Familiengruppen (Alcoholics Anonymous Family Groups) und deren Kinder- und Jugendgruppen Alateen gefunden. Diese verstehen Abhängigkeit als eine Familienkrankheit und arbeiten traditionell nach dem 12-Schritte-Programm (» mehr).

Die Erkenntnis, dass Sie mit ihren Problemen nicht allein auf der Welt sind, tröstet und der Austausch mit anderen Betroffenen kann hohe therapeutische Qualitäten haben. Falls Sie eine Selbsthilfegruppe suchen, fragen Sie in der Suchtberatungsstelle vor Ort nach, schauen Sie in die regionalen Adressenlisten oder richten Sie sich an die örtlichen Selbsthilfeverbände. Eine passende Selbsthilfegruppe zu finden, ist wie ein Hosenkauf: Sie sollten möglichst mehrere an- bzw. ausprobieren.

Falls Ihnen Familie und Freunde trotz aller Bemühungen nicht helfen können, Sie sich durch diese unverstanden und alleingelassen fühlen und sich Ihre psychische und soziale Situation immer weiter zuspitzt, kann das Aufsuchen einer professionellen Stelle notwendig und lohnenswert sein.

Beratungsstellen

Sucht- und Drogenberatungsstellen sind Kompetenzzentren in Bezug auf Abhängigkeitsprobleme und daher auch für Angehörige die erste Wahl als Anlaufstelle. Es gibt durchaus engagierte Beratungsstellen, die Einzelberatung oder Gruppen für Angehörige anbieten. Falls Sie nach fachlicher Hilfe suchen, rufen Sie in der Suchtberatungsstelle vor Ort an oder besuchen Sie die Sprechstunde. Auch in einer Lebens-, Familien- oder Frauenberatungsstelle können Sie ggf. angehörigenzentrierte Hilfe erhalten.

Bedauerlicherweise gibt es immer noch viel zu viele Beratungsstellen, die dem Hilfebedarf der Angehörigen nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenken. Sollten Sie das Gefühl haben, dass Ihre persönlichen Probleme und Belastungen als Angehörige nicht gesehen und gewürdigt werden, Sie nur als Anhängsel des Suchtkranken betrachtet werden und Sie gar co-therapeutisch "missbraucht" werden, um Zugang zum Suchtkranken zu gewinnen und Einfluss auf ihn auszuüben, in diesem Fall suchen Sie sich bitte ein anderes Hilfeangebot.

Ambulante Psychotherapie

Falls Sie in Folge des Stresses durch das Zusammenleben mit einem Suchtkranken einen hohen Leidensdruck und eigene psychische und psychosomatische Beschwerden (Burnout, Ängste, Depressionen etc.) entwickeln, die Sie in Ihrem täglichen Leben beeinträchtigen, kann eine ambulante Psychotherapie indiziert sein. Der Schutzraum einer Einzeltherapie und die dort erfahrene Zuwendung ermöglicht Ihnen, Abstand zu nehmen und durchzuatmen, sich zu wieder fühlen, die eigenen Gedanken zu ordnen, Entscheidungen zu treffen und wieder gut für sich zu sorgen.

Bei Kindern, die in Suchtfamilien aufgewachsen sind, kann sich noch im Erwachsenenalter eine komplexe Posttraumafolgestörung mit Depressionen, Ängsten, Dissoziationen und anderen psychosomatischen Beschwerden manifestieren. Typische Beschwerden dieser komplexen PTBS sind:

  • eine allgemeine Unfähigkeit, sich körperlich und emotional zu fühlen

  • der Eindruck, ständig neben sich zu stehen und sich selbst zu beobachten

  • sich anders, fremd oder isoliert zu fühlen; sich selbst egal sein

  • ständige Selbstzweifel, Selbstablehnung, Versagensgefühle, Schuld- und Schamgefühle

  • vielfältige Lebensängste, hohe innere Anspannung, soziale Ängste, Misstrauen

  • eine starke Neigung, Nähe zu vermeiden und sich zurückzuziehen

  • Mangel an Selbstfürsorge; kaum Lebensgenuss

  • Vermeidung, eigene Ziele und Interessen zu leben und sich zu verwirklichen

Auch in diesem Fall, sind Sie beim ambulanten Psychotherapeuten gut aufgehoben, um Trauma, Entfremdung und Isolation zu überwinden. In den Sprechstunden und Probesitzungen zu Anfang einer Therapie können Sie überprüfen, ob Sie sich bei dem gewählten Behandler wohl und als Person und mit Ihren suchtbelasteten Themen verstanden und angenommen fühlen.

Broschüre "Wege zur Psychotherapie" (BPtK)

Psychosomatik

Wenn Sie krankhaft vom Suchtkranken und dem Wunsch, helfen zu wollen, eingenommen sind, Ihnen zu Hause alles über den Kopf wächst, die Bewältigung des Alltags Ihnen schwerfällt und Erschöpfung, Depressionen, Ängste und Leidensdruck ins Unermessliche wachsen, dann hilft nur noch sehr viel Abstand. In einer stationären psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme können Sie, fern vom Suchtkranken und entlastet von Ihrer verfahrenen Lebenssituation, zu Kräften kommen, einen klaren Kopf gewinnen und Ihre Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit wiedererlangen. Lassen Sie sich durch eine Beratungsstelle oder einen Arzt Ihres Vertrauens bei der Vermittlung helfen. Für die Kostenbeantragung benötigen Sie ein ärztliches Gutachten.

Hinweis: Früher konnte ich Ihnen zwei Kliniken nennen, die psychosomatisch erkrankten Angehörigen explizite Therapieangebote gemacht haben. Beide Angebote wurden nach meinem Kenntnisstand bedauerlicherweise eingestellt.

Frauenhaus, Jugendamt, Notruf, Opferhilfe, Polizei, Anwalt

Falls Sie oder auch Ihre Kinder psychischer und physischer Übergriffigkeiten durch einen Suchtkranken ausgesetzt sind oder der Suchtkranke gegen das BtMG oder wegen Beschaffungskriminalität gegen andere Gesetze verstößt, kann die Inanspruchnahme der aufgezählten öffentlichen Stellen unumgänglich werden, um sich und die Kinder zu schützen und einen noch größeren Schaden abzuwenden. Weil Angehörige diesbezüglich oftmals (moralisch) verunsichert sind, möchte ich hier eindeutig Stellung beziehen: Ja, Sie dürfen ihren z.B. gewalttätigen Partner oder dealenden Sohn anzeigen. Ob Sie juristische Schritte einleiten oder nicht, ist einzig und allein Ihre Verantwortung und Entscheidung.

Krisendienst, Sozialpsychiatrischer Dienst, Notarzt, Krankenhaus

In dem Fall, dass der Suchtkranke psychisch oder körperlich in eine Krise gerät, er z.B. suizidale Äußerungen tätigt, sich verletzt hat oder einen anderen körperlich bedenklichen Zustand erleidet, zögern Sie bitte nicht, die aufgezählten Dienste aufzusuchen oder einzuschalten. Wenn der Suchtkranke psychisch oder somatisch in Not ist und Sie die Situation als gefährlich einstufen, dürfen Sie ihn nicht mehr transportieren. In diesem Fall rufen Sie sofort den Notarzt oder Rettungsdienst (112), der alles Weitere, z.B. den Transport per Krankenwagen in ein somatisches oder psychiatrisches Krankenhaus veranlasst. - Falls Sie in der Frage der Ersten Hilfe bei Krisen unsicher sind, lassen Sie sich bitte vorab durch den Sozialpsychiatrischen Dienst (SPD) beraten, damit Sie vorbereitet und handlungsbereit sind.

Dass Eltern Ihre (Co-)Abhängigkeit überwinden, ist die beste Therapie für die Kinder. Kinder aus Suchtfamilien haben ein erhöhtes Risiko, später als Erwachsene selber eine Co-Abhängigkeit oder Sucht zu entwickeln. Was aber Mut macht, ist die Erkenntnis, dass kein erhöhtes Risiko mehr besteht, wenn die Eltern ihre (Co-)Abhängigkeit überwinden. Die Kinder lernen aus der Entwicklung der Eltern. Deswegen machen Sie als Eltern den ersten Schritt, aktiv etwas zu verändern und Ihre Verstrickungen zu überwinden. Nur dann kann es flankierend sinnvoll und hilfreich sein, auch den Kindern Therapie zukommen zu lassen. Ein Hinweis vorweg: Kinder aus Suchtfamilien können in Folge der erlebten suchtbelasteten, familiären Unbeständigkeit oftmals tiefgreifende Bindungsstörungen entwickeln. Kurzfristige Maßnahmen greifen in solchen Fällen nicht, sie sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Kinder benötigen langfristig angelegte Maßnahmen, in denen sie Sicherheit und Beständigkeit erfahren, um in ihrer Persönlichkeit nachhaltig reifen zu können.

Spezialisierte Beratungsstelle

Auch wenn sie noch rar sind, es gibt spezialisierte Beratungsstellen für Kinder und Jugendliche suchtbelasteter oder psychisch kranker Eltern. Das vorbildhafte Original einer solchen Stelle ist für mich Such(t)- und Wendepunkt e.V. in Hamburg (» mehr). Solche Stellen sind Kompetenzzentren für die Kinder- und Familienproblematik, solidarisieren sich mit den Kindern, bieten jedoch gewöhnlich auch Beratung und Unterstützung für Eltern an und kooperieren im Sinne des Kindes eng mit anderen Stellen (Suchtberatung, Familienhilfe, Jugendamt).

Sucht- und Drogenberatung

Ebenfalls noch zu selten haben einige Sucht- und Drogenberatungen spezielle Fachkräfte, die sich schwerpunktmäßig um die Belange von Kindern aus Suchtfamilien kümmern und Einzel- und Gruppenmaßnahmen anbieten. Die kindzentrierten Angebote sind oftmals integriert in ein Gesamtbehandlungskonzept, das ebenfalls Maßnahmen für die co-abhängig und suchtkrank betroffenen Eltern beinhaltet. Diese präventiven Entwicklungen stehen noch ganz am Anfang, sind indes sehr zu begrüßen. Es dreht sich nicht mehr alles ausschließlich um den suchtkranken Symptomträger, vielmehr wird das familiäre Abhängigkeitssystem in den Fokus der Aufmerksamkeit und der Bemühungen gestellt. Dies hat den großen Vorteil, dass auf das ganze familiäre System flexibel und zielgerichtet Einfluss genommen werden kann, und zwar unabhängig davon, ob der Suchtkranke eine Behandlung annimmt oder verweigert. Fragen Sie in Ihrer Sucht- oder Drogenberatungsstelle nach.

Patenschaften

An einigen Orten sind auf Initiative von Selbsthilfe oder Trägern der Prävention und Jugendhilfe sogenannte Patenschaften für Kinder von sucht- und psychisch kranken Eltern eingerichtet worden. Es werden ehrenamtliche Personen geschult und eingesetzt, die sich engagieren wollen und bereit sind, die Entwicklung von betroffenen Kindern langfristig zu begleiten und zu fördern. Typischerweise haben die Paten zwei übergeordnete Funktionen: erstens regelmäßig mit den Kindern positive Aktivitäten zu unternehmen und zweitens in Krisen für das Kind da zu sein. Die Paten ersetzen selbstverständlich keine notwendigen pädagogischen oder therapeutischen Maßnahmen, doch sind sie Grundlage dafür, dass diese Maßnahmen überhaupt greifen können. Patenschaften sind besonders wertvoll, weil sie den Kindern im Chaos des suchtbelasteten Alltags Verlässlichkeit und Halt über einen langen Zeitrahmen bieten.

Erziehungs- und Familienberatung, Jugendamt

Verstrickte Angehörige können sich nicht nur gegenüber dem suchtkranken Partner schlecht abgrenzen und durchsetzen, häufig haben sie, so ist meine Erfahrung, als Eltern gegenüber etwaigen Kinder vielfältige Erziehungsschwierigkeiten. In solchen Fällen können Sie eine Erziehungs- oder Familienberatungsstellen, die es ebenso wie die Suchtberatungsstellen flächendeckend in unserem Land gibt, kostenlos in Anspruch nehmen. Auch durch das Jugendamt können Sie sich beraten und in eine geeignete Maßnahme vermitteln lassen.

Kinder- und Jugendpsychotherapeut

Das Aufwachsen in einer Suchtfamilie ist für ein Kind eine traumatische Belastung. Falls Ihr Kind psychosoziale Auffälligkeiten entwickelt hat, die trotz aller Ihrer Bemühungen nicht besser werden und die Sie überfordern, dann kann es sinnvoll sein, dass Sie gemeinsam mit Ihrem Kind einen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten aufzusuchen. Gemeinsam können Sie beraten, welche kindzentrierten Maßnahmen notwendig sind. Der Therapeut wird Sie ebenfalls in Ihren erzieherischen Bemühungen unterstützen. Eine Therapie Ihres Kindes kann ebenfalls nur greifen, wenn Sie selbst aktive Schritte zur Überwindung Ihrer (Co-)Abhängigkeit unternehmen.

Integrierte Hilfen

Aufgrund des modellhaften Charakters möchte ich hier exemplarisch noch auf das Haus Magnolia in Berlin hinweisen, welches für suchtkranke Eltern und ihre Kinder einen geschützten Rahmen zum gemeinsamen Wohnen bietet. Eltern und Kinder werden hier gemeinsam begleitet und für ein unabhängiges Leben gestärkt (» mehr).