Eine weitere klassische Frage, die alle Angehörigen stellen: Was mache ich, wenn ich eine Flasche Alkohol - alternativ Drogen - in einem Versteck finde, obwohl er mir vier Wochen zuvor versprochen hat, aufzuhören? Bei verhaltensbezogenen Suchterkrankungen, kann dieselbe Frage in leicht abgewandelter Form gestellt werden.
Nach über 20 Jahren Berufserfahrung in der Arbeit mit Suchtkranken und Angehörigen, könnte ich Ihnen hier unzählige Antworten geben und keine ist richtig oder falsch. Jedoch ist die Frage als suchtzentriert einzustufen und bei Angehörigen führt sie in die Sackgasse von Verantwortungsübernahme, Kontrollillusion und Ohnmacht. Falls Sie Angehörige sind, möchte ich Ihnen meine Meinung nahe bringen, dass es seine Frage ist und es infolgedessen ganz allein seine Sache ist, nach möglichen Antworten zu suchen. Es ist seine Verantwortung, sich auf den Prozess einzulassen, die Sucht zu überwinden, oder sich auch nicht einzulassen und weiter zu konsumieren. Letzteres ist zwar traurig, doch sein gutes Recht. Falls Sie ihm als Angehörige helfen wollen, ist dies nett von Ihnen. Aber es ist sein Entschluss, Ihre Hilfe anzunehmen oder auch zurückzuweisen. Und falls er Ihre Hilfe wirklich wünscht, bleibt es trotzdem seine Aufgabe, Antworten zu suchen und auszuprobieren, um seine Krankheit abzumildern und zu überwinden. Sie können seine Probleme nicht aus der Welt kehren. Das muss er in aller Konsequenz schon selbst tun.
Falls Sie Suchtmittel finden oder herausfinden, dass er rückfällig ist, möchte ich Ihnen als Angehörige die Gegenfrage stellen: Was wollen Sie tun? Was ist Ihr Interesse? Wonach ist Ihnen? Welche Unlust verspüren Sie und wozu haben Sie Lust? Dies ist Ihre Frage, um Ihren eigenen Prozess anzustoßen. Und es ist allein Ihre Verantwortung, ob Sie sich ihrer Bedürftigkeit stellen. Sie dürfen in der co-abhängigen Sackgasse bleiben, ihn bevormunden und ihm Antworten auf seine Frage vorgeben. Sie dürfen sich in ihrer Lebenszufriedenheit von seiner Genesung abhängig machen. Das ist nicht verboten, aber machen Sie sich nichts vor. Es bringt Sie - selbst wenn er es tatsächlich schafft, aufzuhören - keinen Schritt in Ihrem Leben weiter. Deswegen möchte ich Sie einladen, aufzuhören, mit der äußeren Realität zu kämpfen, sich Ihrer inneren Realität zu stellen und in Ruhe zu schauen, was Sie eigentlich in Ihrer verfahrenen Situation brauchen. Bitte geben Sie keine voreiligen Antworten, denn es geht darum, dass Sie die Vielschichtigkeit ihrer Ängste, Verletztheit und Bedürftigkeit erkunden. Sie werden mannigfaltige Antworten finden. Unabhängig zu leben, bedeutet, alle Antworten anzunehmen und auszuprobieren.
Ob Sie den entdeckten Alkohol im Versteck lassen, weil es zwecklos erscheint, oder ihn wegkippen, damit er ihn nicht trinken kann, ob Sie ihn sachlich zur Rede stellen, um ihn zur Vernunft zu bringen, oder ihn wütend anschreien, um ihn zu erreichen, ob Sie ihn herauswerfen oder selbst die Koffer packen, um ihn zu bestrafen. Das spielt alles keine Rolle. Wenn Sie indes den Alkohol im Versteck lassen, weil Sie sich ohnmächtig fühlen, oder ihn weggießen, weil es Sie erleichtert, oder ihn zur Rede stellen, um selbst Klarheit zu erlangen, oder ihn anschreien, weil Ihre Wut rausmuss, oder Sie ihn herauswerfen oder die Koffer packen, weil Sie Ruhe brauchen, um nachzudenken, in allen diesen Fällen handeln Sie aus Ihrer Not und Bedürftigkeit. Gut so! Sie sind auf Ihrem Weg. Erkennen Sie den Unterschied, den ich Ihnen vermitteln möchte? Nicht die Handlung, sondern Ihre Motive, zu handeln, machen den Unterschied.
Falls Sie bemerken, dass die Frage nach ihren Bedürfnissen und Interessen Sie überfordert oder Sie sogar co-abhängig reagieren: "Ich wünsche mir doch nur, dass er aufhört", in diesem Fall benötigen Sie meines Erachtens solidarische Hilfe von anderen. Auf der Seite Hilfen finden Sie Anregungen dazu.