Süchtige klagen laut, Angehörige leiden still.

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illustration nein sagen

Aktuelles

Folgend finden Sie aktuelle Informationen und Kommentare zur Angehörigenthematik der Sucht, z.B. zu neuen Angeboten, gesundheitspolitischen Ereignissen, Buchveröffentlichungen und zu Aktivitäten des Autors.

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  • cover ohde ich stelle mich schlafend
  • 2025-08 | Roman | Rezension

    Ohde, D. (2025). Ich stelle mich schlafend. Berlin: Suhrkamp.

    Deniz Ohde, deren Erstling Streulicht den Deutschen Buchpreis 2020 gewann, hat kürzlich einen zweiten Roman veröffentlicht. Schon den ersten habe ich für Co-ABHAENGIG.de auf der Seite Medien unter der Rubrik Romane berücksichtigt, aber nicht wirklich rezensiert. Streulicht hat sich dem widersetzt, eingeordnet und bewertet zu werden. Mit Ich stelle mich schlafend geht es mir wieder ähnlich. Deswegen mache ich es mir einfach und zitiere die Beschreibung von Suhrkamp, auch wenn ich diese nur zum Teil stimmig finde, und lasse danach das Buch selbst mittels Zitaten sprechen.

    Das Haus, in dem Yasemin bis vor kurzem gelebt hat, steht nicht mehr. Es musste bis auf die Grundmauern abgerissen werden. Von der Wohnung, die sie zuletzt mit ihrem Freund Vito geteilt hat, sind nur Erinnerungen übrig. Die Geschichte der beiden reicht bis in ihre Jugend zurück: Beide wachsen im selben Hochhauskomplex auf, und Yasemin verliebt sich mit dreizehn in den drei Jahre älteren Nachbarn. Von klein auf fasziniert von Glaubensfragen und Spiritualität, versucht sie durch einen Liebeszauber, Vito für sich zu gewinnen. Doch nach einem Sanatoriumsaufenthalt, wo ihre Skoliose behandelt wird, geht sie auf Distanz. Zu fremd ist ihr der eigene Körper, zu groß die Scham wegen ihres Korsetts. Erst zwanzig Jahre später, als die mühsam aufgerichtete Wirbelsäule droht, sich wieder zu stauchen, begegnen sie sich erneut. Yasemin hält dieses späte Aufflammen der Jugendliebe für Schicksal. Aber dann zeigt Vito sein Inneres, das bedrohlich ist und leer.

    Ich stelle mich schlafend erzählt von den dunklen Seiten einer Liebe – und die Geschichte einer Befreiung. Ein eindringlicher Roman über den Versuch einer Auslöschung und über die Frage, ob es eine Berührung gibt, die den Kern eines Menschen unwiederbringlich verändert.

    Warum berücksichtige ich das Buch für Co-ABHAENGIG.de? Yasemin gerät als erwachsene Frau in eine Abhängigkeit zu Vito, der suchtkrank, verwahrlost und dissozial ist und sie übel behandelt. Trotzdem verlässt sie seinetwegen Andreas, den ersten Mann in ihrem Leben, der sie liebt und ihr guttut. Am Ende schafft sie es, sich von Vito zu trennen (S. 208):

    »Du kannst hier nicht bleiben«, bestimmt, aber ruhig, darauf hatte sich Yasemin mit sich geeinigt. Sie sagte es in einem sanften Tonfall. »Wir haben uns getrennt. Es tut mir leid.«

    Die Jugendfreundin von Yasemin, Immacolata, wird beim Trampen ermordet. Deniz Ohde verdeutlicht an dem Schicksal der beiden Frauen den Unterschied von gebeugtem und gebrochenem Willen (S. 190, 192, 208 - 209):

    Als Vis compulsiva bezeichnet man im Strafrecht die willensbeugende Gewalt. Im Unterschied zur willensbrechenden Gewalt, die leicht als solche erkennbare Gewaltanwendungen meint - schlagen, fesseln, betäuben -, ist Vis compulsiva schwerer zu greifen. [...] War Yasemins Wille gebrochen oder nur gebeugt? [...] Niemand wollte zu einem Passfoto werden [Anm.: Von Immacolata bleibt Yasemine nur ein Foto.], es war nichts, was man selbst in der Hand hatte. Was sie in der Hand hatte, hatte Yasemin getan: Sie hatte sich getrennt, sie war davongekommen, bevor etwas geschehen war, noch zum Zeitpunkt eines bloß unguten Gefühls, noch zum Zeitpunkt, als ihr Wille zwar gebeugt und noch nicht gebrochen war, als es nur die Glühbirnen ihrer Lichterkette waren, die Vito hatte ausbrennen lassen.

    Und die Protagonistin reflektiert nun ihre abhängige Beziehungsstrategie (S. 208):

    Sich zu entschuldigen, das war ihre Lebensaufgabe, ihr Lebensgefühl, ihre ganze Lebensform, ob es um einen Mann ging, der in ihre Wohnung einbrach, oder um einen Salzstreuer, den sie gar nicht aufgeschraubt hatte, es war ihre Überlebensstrategie, auch jetzt, fight, flight or fawn, die dritte Variante kannte kaum jemand, höchstens freeze war noch manchen ein Begriff, aber fawn hatte Yasemin immer gerettet: sich einschmeicheln. Sich hingeben, wenn sie eigentlich nicht wollte, sich anbiedern, sich die Berührung eines Menschen wünschen, damit er ihr nicht den Willen brach, sie beugte ihn sich selbst, sie war so trainiert darauf, dass sie beim kleinsten Anflug der Nötigung schon nachgab. Verhalten: unauffällig freundlich.

    Die Episode mit Vito hat einen hohen Preis, Yasemin ist seelisch und körperlich am Boden. Es bleiben bohrende Fragen, Zweifel und Unsicherheiten, z.B. (S. 217, 225, 226):

    Was habe ich gelernt? Dass man auf seine Intuition hören soll? Dass man nicht zu fremden Männern ins Auto steigt? Das wusste ich längst - wieso habe ich mich nicht daran gehalten? Dass man das mit dem Urvertrauen lassen sollte, diesem naiven Glauben, niemand wolle einem etwas Böses. [...] Habe ich mich vor ihm verbeugt, oder wurde ich durch ihn gekrümmt? [...] Was ist, wenn ich auch in Zukunft nicht Nein sagen kann? Wenn ich in Dinge gerate. Wenn ich Nein sage und es nicht zählt. Wenn ich Nein sage und nicht danach handle. [...] Was ist, wenn ich mir mein Nein nehme aus Gewohnheit. Es verschlucke und schweige.

    Ohde macht es richtig: Sie gibt keine Antworten auf die Fülle an Fragen, sie deutet nur Möglichkeiten an. Diese sind zwiespältig, so wie das Leben zwiespältig ist. Am Ende beginnt Yasemin, zu akzeptieren, was ihr angetan worden ist und was sie sich hat antuen lassen. Sie beginnt wieder, zu atmen und für sich zu sorgen - und für sich sorgen zu lassen.

    » Das Buch beim Suhrkamp Verlag

    illustration prinzessin entspannen

    2025-02 | Vortrag | Minden-Lübbecke

    Verantwortung und Freiheit als Gegenentwurf

    Der Landesverband der Freundeskreise ist seit längerem engagiert dabei, die Angehörigen mehr in den Fokus zu nehmen und ihnen adäquate Unterstützung zu bieten. Die Angehörigen sind mittlerweile sogar im Vorstand vertreten und es wurde die empfehlenswerte Broschüre Steig aus! von Angehörigen für Angehörige veröffentlicht. Eine Selbsthilfegruppe Angehörige hatte mich für den 15.04.2025 ins Katholische Gemeindehaus nach Minden-Lübbecke eingeladen. Und die Gruppe hat mir ein brisantes Thema mit reichlich Stoff für Diskussionen vorgegeben. Aus der Ankündigung:

    Abhängigkeit ist ein soziales System und dieses System spielt unentwegt Schwarzer-Peter mit festgeschriebenen Rollen: Die süchtigen sind die "armen Kranken" und die Angehörigen haben den schwarzen Peter. Dieses rigide, manipulative Spiel findet nicht nur in den Familien statt, es ist auch definierender Teil des Suchthilfesystems und Teil einer seit Jahrzehnten bekannten gesellschaftlichen Schieflage: Alle Hilfe ist für die Suchtkranken reserviert, während die Angehörigen vergessen oder als Co-Therapeuten benutzt werden.

    Was können wir machen, wenn wir gewahr werden, dass wir Teil eines Spiels sind, welches wir nur verlieren können? Es geht meiner Erachtens darum, aus dem abhängigen Schuldspiel auszusteigen, uns die Freiheit zu nehmen, nüchtern Verantwortlichkeiten zu klären: "Für deine Sucht und die Folgen bist du verantwortlich. Ich bin dafür verantwortlich, mich zu schützen, abzugrenzen und mein Leben nach meinen Vortstellungen zu gestalten." Darüber möchte ich mit Ihnen ins Gespräch kommen.

    Um anzuregen, wie aus dem Schuldspiel ausgestiegen werden kann, habe ich aus vier Büchern zitiert und zwei Gedichte vorgetragen. Das erste Buch ist Der Mensch in der Revolte von Albert Camus. Die anderen drei Bücher sind Romane zum Thema Kinder aus Suchtfamilien von Juli Zeh, Annabelle Schickentanz und Michelle Halbheer. Die Gedichte stammen von Erich Fried (Sucht) und Annabelle Schickentanz (Sehnsucht) Folgend drei Zitate aus den Büchern:

    Camus (S. 27): Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt. Aber, wenn er ablehnt, verzichtet er doch nicht, er ist auch ein Mensch, der ja sagt aus erster Regung heraus. [...] Gleichzeitig mit dem Widerwillen gegen den Eindringling enthält jede Revolte eine völlige und unmittelbare Zustimmung des Menschen zu einem Teil seiner selbst.

    Zeh (S. 190 - 191): Plötzlich weiß er, wie es geht. Es gibt nur einen Weg. Er löst sich von ihr und beginnt, Kleidungsstücke vom Boden aufzuheben und in Lunas Rucksack zu stopfen. [...] "Was soll das?", fragt sie. "Geh", sagt er. Sie schauen sich an. Lunas großer, erstaunter Blick. "Sofort", sagt er. "Hau ab." Sie gehorcht. [...] Er schaut in das Gewirr aus herabsinkenden Flocken. Wunderbare Langsamkeit. Unten tritt Luna aus dem Haus, eine große Frau. [...] Ihre Jacke ist zu dünn, sie wird sich erkälten. Henning öffnet das Fenster, ruft aber nicht. Er lässt den kalten Zigarettengeruch hinaus.

    Schickentanz (S. 218): Du könntest entgegnen, dass man zwischen dem Menschen und der Sucht unterscheiden muss, dass die Würde des Menschen es gebiete, ihm zur Seite zu stehen, ihm zu helfen, damit er die Sucht überwinden kann. [...] Der Übergang in eine Co-Abhängigkeit ist ebenso fließend wie die Entstehung einer Sucht. Es sind unsere ungestillten Bedürfnisse, schlafend unter dem Deckmantel der Hilfe, die uns in die Zuwendung drängen. Warum fragen wir nicht danach, welche würdevolle Zuwendung unsere eigenen Bedürfnisse benötigen?

    Aus der Diskussion im Anschluss an meine Ausführungen sind mir besonders zwei Fragen nachgegangen: 1. Wie antworte ich, wenn mir jemand mitteilt, dass er sich schämt. 2. Wie geht es, wütend zu werden? Die erste Frage ist relativ einfach zu beantworten: Ein Schamgefühl ist der Ausdruck des Grundbedürfnisses nach Liebe und Bindung. Ein Mensch, der sich in seinem Schamerleben mitteilt, möchte in seinem Sosein, dass er so ist, wie er ist, gesehen und angenommen werden. Die zweite Frage ist die große, immer wieder neu zu stellende Frage nach dem Sinn des Leben: "Was will ich?" Diese kann nur jeder für sich beantworten, die Suche nach den Antworten dauert ein Leben lang. Voraussetzung dafür ist, dass man frei, nur sich selbst verpflichtet ist.

    » Abstract zum Vortrag
    » Freundeskreise NRW
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    2025-03 | Roman | Rezension

    Kang, H. (2016). Die Vegetarierin. Berlin: Aufbau Verlage.
    (Das Original erschien 2007 bei Ch'angbi, Seoul.)

    Ich lese gerade zwei Autobiografien und ein Fachbuch zur Thematik der Angehörigen von Suchtkranken, hatte indes das Bedürfnis, eine Pause vom Thema zu machen und mal etwas anderes zu konsumieren. Meine Frau lieh mir das prämierte Buch Die Vegetarierin von der Literaturnobelpreisträgerin Han Kang. Erst im dritten Teil des Buches wurde mir klar, dass die Protagonistinnen Yong-Hye und ihre ältere Schwester In-Hye Kinder aus Suchtfamilien sind und prototypisch die Rollen vom Heldenkind ("hero") und verlorenen Kind ("lost child") nach Wegscheider-Cruse (1981) ausfüllen. Aber fangen wir vorne an und stellen erst die Geschichte vor. Um Sie nicht zu sehr zu spoilern, berücksichtige ich dabei nur den ersten von drei Teilen. Aus dem Eintrag des Romans bei Wikipedia:

    Bevor sie zur Vegetarierin wurde, war Yong-Hye laut ihrem Ehemann eine unscheinbare und durchschnittliche Frau. Bis auf den Fakt, dass sie es verabscheute einen BH zu tragen, war an ihr nichts besonders. Dies ändert sich jedoch, als sie eines morgens beschließt, alle tierischen Produkte wegzuwerfen. Wenn sie nach dem Grund gefragt wird, warum sie sich auf einmal vegan ernährt, antwortet sie immer nur mit „Ich hatte einen Traum“. Für ihren Ehemann ist diese Veränderung absurd und unverständlich, er kritisiert Yong-Hye, unternimmt ansonsten jedoch nichts. Nach einem wichtigen Geschäftsessen mit seinen Vorgesetzten, bei welchem die Essensgewohnheiten seiner Frau auf weiteres Unverständnis trafen und ihre Anteilnahmslosigkeit am Geschehen die Stimmung senkte, beschließt er etwas gegen das Verhalten seiner Frau zu unternehmen.

    Er ruft die Eltern und die Schwester von Yong-Hye an, welche von ihrer Veränderung geschockt sind, doch auch sie schaffen es nicht, seine Frau umzustimmen. Sein Verhalten gegenüber seiner Frau wird aggressiver, mehrmals vergewaltigt er sie sogar. Einen Monat später finden sich Yong-Hye und ihr Mann zu einem Familientreffen bei ihrer Schwester ein. Beim Essen ergreifen alle die Möglichkeit auf Yong-Hye einzureden und versuchen sie dazu zu bringen, wieder Fleisch zu konsumieren. Auf die umsorgenden Worte ihrer Schwester und die Versuche ihrer Mutter sie mit Fleisch zu füttern zeigt Yong-Hye jedoch keine Reaktion. Als sie auch auf den Versuch ihres Vaters nicht reagiert, wird dieser handgreiflich und schlägt sie. Er nimmt ein Stück Fleisch und steckt es seiner Tochter gewaltsam in den Mund, welche es sofort wieder ausspuckt, ein Obstmesser nimmt und sich die Pulsader aufschneidet.

    Yong-Hye wird ins Krankenhaus eingeliefert. Während eines Besuches bemerkt ihr Ehemann, dass sie nicht im Bett ist und findet sie nackt im Hof des Krankenhauses auf einer Bank sitzen, mit blutverschmiertem Mund und einen blutbespritzten Vogel in der Hand haltend.

    Der dritte Teil wird aus der Sicht der älteren Schwester In-Hye geschildert. Sie ist die einzige, die sich bis zuletzt um die psychisch kranke Yong-Hye kümmert. Erst aus den Erinnerungen an die Kindheit von In-Hye erfährt der Leser, dass der Vater der beiden ein gewalttätiger Alkoholiker ist, unter dem besonders die stille, sensible In-Hye gelitten hat. Die große Schwester hat sich schon damals um In-Hye gekümmert und sie nach ihren Kräften vor den Übergriffen des Vaters beschützt. Der Ehemann von Yong-Hye ist die Verkörperung von gefühlsloser, dissozialer Biederkeit und Spießigkeit. Es ist nicht verwunderlich, dass seine Durchschnittlichkeit, Hilflosigkeit und Verständnislosigkeit - wie beim Vater der Schwestern - in Gewalt umschlägt.

    Die Brutalität von Vater und Ehemann, die familiäre Unfähigkeit, zu reden, das daraus resultierende empathielose, zwanghafte Bemühen, Normalität aufrechtzuhalten, hat im Roman mit der Institution der Psychiatrie eine gesellschaftliche Entsprechung. Die Psychiatrie des Romans ist eine totale Institution gemäß dem bekannten Soziologen Erving Goffman, die mit der Gewalt von Medikamenten, Freiheitsentzug, Fixierung und Zwangsernährung versucht - wie der Vater und Ehemann zuvor - Yong-Hye in die erwünschte Norm zu zwingen.

    Yong-Hye hat mit ihrer Vulnerabilität, Stille, Empfindsamkeit, kindlichen Naivität und Beobachtungsgabe besondere Talente, die nie jemand, auch sie selbst nicht, erkennt, versteht oder fördert. Der Schwager kommt ihr zwar im zweiten Teil des Romans nahe, als er sie mit Blumen bemalt, verliert sich dann aber in seinen sexuellen Gelüsten, ohne der zärtlichen Bedürftigkeit von Yong-Hye gerecht zu werden. Von der blumigen Kunst des Schwagers inspiriert versucht Yong-Hye im dritten Teil durch die wahnhafte Vorstellung, kein Mensch oder Tier mehr, sondern ein Baum zu sein, der unerträglichen, blutigen Realität zu entkommen. Sie findet Trost und Frieden darin, eine unschuldige Pflanze zu sein, die nur Sonne und Wasser braucht. Ihre Schwester beginnt dies am Ende ein ganz wenig zu verstehen (S. 188):

    Sie [In-Hye] sieht die Wahrheit klar und deutlich: Wenn nicht ihr Mann und Yong-Hye die Ersten gewesen wären, die Grenzen überschritten und damit ihre heile Welt zerstört hatten, dann wäre es wahrscheinlich sie selbst gewesen, die sich aufgelöst hätte und auf Nimmerwiedersehen verschwunden wäre. Hätte nicht das Blut, das ihre Schwester heute verloren hatte, aus ihrem eigenen Blut sprudeln müssen?

    » Buch auf Wikipedia

    2025-03 | Fachbuch | Rezension

    cover angehörige

    Klein, M. & Moesgen, D. (2025). Angehörige von Menschen mit Suchterkrankungen. Lebenslagen - Risiken - Hilfen. Stuttgart: Kohlhammer.

    Das Socialnet ist eine Internet-Plattform, welche als "Portal, Community, Stellenbörse, Verlag, Webagentur, Contentspezialist" fungiert und "kostenlosen Zugang zu Fachinformationen für das Sozial- und Gesundheitswesen" bietet. Ich habe eine Rezension für das Sozialnet zur Neuerscheinung von Klein & Moesgen verfasst. Unter den Link unten können Sie sie aufrufen und lesen. Folgend mein Fazit zum Buch:

    Die Neuerscheinung von Klein & Moesgen rückt eine vernachlässigte Gruppe in den Fokus: Kinder, Partner und Eltern von suchtkranken Menschen, um der Weiterentwicklung des Hilfesystems für diese Betroffenengruppen beizutragen. Die umfassende Darstellung der wissenschaftlichen Studien zu den vielschichtigen Belastungen und psychosozialen Auswirkungen auf die Angehörigengruppen ist einzigartig und überzeugend. Indes wird durch die Ausführungen zu den Erklärungsmodellen und Behandlungsansätzen die Komplexität und Schwere der dargestellten Problematik nur bedingt abgebildet.

    » Rezension
    » Verlagsseite des Buches

    2025-02 | Lesung | app:Bielefeld

    Wege aus dem Schatten der Sucht

    Vom 16.-22. Februar 2025 fand die 16. bundesweiten Aktionswoche für Kinder aus suchtbelasteten Familien statt. Das Motto lautete: #ICHWERDELAUT. Dieses wie auch das diesjährige Plakat haben mir ausgesprochen gut gefallen. Die Woche startete am 13.02. mit einer Kick-Off-Pressekonferenz um 10 Uhr in Berlin. Auf der Konferenz ging es darum, ob die scheidende Bundesregierung ihre ausdrückliches Versprechen, Kinder aus Suchtfamilien mehr zu unterstützen, gehalten hat und was von einer neue Regierung diesbezüglich erwartet wird.

    Ich bin sehr zufrieden damit, dieses Jahr den app:Bielefeld, das größte Netzwerk an Psychologischen PsychotherapeutInnen in Deutschland, als Kooperationspartner für eine Veranstaltung gewonnen zu haben. Am 19.02.2025 haben wir, eine Gruppe an AutorInnen und Betroffenen, in den Geschäftsräumen des app: eine Lesung durchgeührt. Aus dem Abstract zur Veranstaltung:

    Vor allem Kinder, aber auch Partner und Eltern von uneinsichtig chronifizierten Suchtkranken leiden unter den Begleit- und Folgeerscheinungen von Sucht. Dauerstress, Unbeständigkeit, Manipulationen und Übergriffigkeiten prägen ihren Alltag. Als Folge entwickeln sie überdurchschnittlich häufig psychische Probleme und Störungen. Mehrheitlich sind es Frauen, die sich in helfenden Beziehungen zu Suchtkranken aufopfern und sich selbst und ihr Leben vernachlässigen. Die Folge sind Depressionen, Angststörungen, klassische und komplexe PTBS und psychosomatische Erkrankungen.

    Es ist zu vermuten, dass eine beträchtliche Anzahl an KlientInnen in ambulanter Psychotherapie biografisch und/oder aktuell als Angehörige eines Suchtkranken belastet ist. Sucht ist immer noch ein Tabuthema, doch die Angehörigenproblematik ist doppelt tabuisiert. Viele Angehörige können ihre Betroffenheit angst- und schambedingt selbst im Schutzraum der Therapie nicht ansprechen.

    Poesietherapie ist eine wunderbare Interventionsform. Sie kann unter anderem zur narrativen Exposition, zur Suche nach Lebenssinn oder zur Verbesserung der Selbstbeziehung eingesetzt werden. Geschichten zu erzählen, sprengt kreativ das Korsett der Sprachlosigkeit und Verleugnung und macht schlicht großes Vergnügen.

    Wir sind Betroffene, AutorInnen und ein Psychotherapeut und wollen mit unseren Geschichten das tabuisierte Thema der Angehörigen aus dem kalten Schatten des Verschweigens ins warme Licht der Beachtung holen. Gemäß dem Schweizer Philosophen Peter Bieri ist es unser Anliegen, der verletzten Würde der Angehörigen mit erzählerischer Schwerkraft Raum und Stimme zu geben.

    Die Lesung wurde als Fortbildung für Psychologische PsychotherapeutInnen durchgeführt. Bedauerlicherweise waren nur wenige KollegInnen gekommen und ich kann mir an dieser Stelle einen enttäuschten Seufzer über diese erstaunliche Abwehr unserer Berufsgruppe nicht verkneifen: Es hat eine lange psychotherapeutische Tradition, dass wir denken, dass das Thema (Co-)Abhängigkeit uns nicht oder kaum etwas anginge. Als Folge treffen in der ambulanten Psychotherapie symptomatische Sprachlosigkeit der KlientInnen auf professionelle Sprachlosigkeit der TherapeutInnen. Das ist nicht gut.

    Die 25 ZuhörerInnen, die Ihren Weg in die Geschäftsstelle des app: gefunden haben, waren zur Hälfte KollegInnen und zur Hälfte Betroffene, nicht wenige waren beides. Die Lesung habe ich atmosphärisch dicht, fokussiert und berührend erlebt. Nach der Lesung hat sich eine offene und wertschätzende Diskussion zwischen allen Anwesenden entwickelt. Die Rückmeldung einer betroffenen KollegIn per E-Mail am Folgetag bringt es, wie ich finde, unprätentiös auf den Punkt:

    ... nach den Worten hatte ich gestern Abend gesucht: Diese Texte präsentiert zu bekommen macht die Sprachlosigkeit erfahrbar - und hilft vielleicht/hoffentlich, Verständnis dafür zu entwickeln und Patient:innen/Betroffene ernst zu nehmen und darin zu unterstützen, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden.

    Monika Trentowska vom Vorstand des app: hob hervor, dass die Texte eine alternative, geeignete Form wären, das innere Erleben der Betroffenen zu verstehen, aber weit darüber hinaus gingen. Der selbstbestimmte Akt, auf eine Bühne zu gehen und autobiografische Texte vorzutragen, verlasse den intimen, persönlichen Raum und auch den Schutzraum der Therapie Es bedeute, sich als Mensch sichtbar zu machen und Öffentlichkeit resp. Mitmenschlichkeit zu erzeugen. Sie griff auch den philosophischen Impuls von Frau Schickentanz auf, dass mittels des sprachlichen Ausdrucks die statischen Bilder, z.B. vom Leid der Betroffenen, anfangen würden, sich zu bewegen und lebendig zu werden. Ein anderer Zuhörer sprach diesbezüglich von "Ganzsein" und "Ganzwerdung". Schließlich würdigte eine suchttherapeutische Kollegin den Mut der Autorinnen, über die eigene Verletztheit öffentlich zu erzählen.

    Mir hat es ausgesprochen gut gefallen, mein "Einzelkämpfertum" zu verlassen und mit anderen gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Solidarität überwindet Alleinsein. In diesem Sinne habe ich beobachtet, wie sich in der Pause und nach der Lesung Publikum und Vortragende vermischten - aus Vortragenden wurden Zuhörer und aus Zuhörern wurden Sprechende - und sich in vielen kleinen, wechselnden Grüppchen angeregt ausgetauscht wurde. Für die Zukunft ist eine zweite Lesung in einem größeren Rahmen für Bielefelder BürgerInnen angedacht. Auch sind schon Lesungen in Lüdenscheid und München terminiert und weitere in Planung. Ich möchte in Zukunft mehr auf dieses Format auf Augenhöhe setzen.

    » Abstract zur Lesung
    » Veranstaltungen Bielefeld

    2025-01 | Neuerscheinung | Rezension

    Schickentanz, A. (2025). Jenseits der Wand. Norderstedt: Book on Demand.

    Vor beinah zwei Jahren hat mich die Autorin Annabelle Schickentanz gefragt, ob ich sie dabei begleite, einen autofiktionalen Roman über eine Kindheit in einer Suchtfamilie zu verfassen. (Hinweis: Autofiktionale Texte sind eine fiktionale Konstruktion autobiografischer Erfahrungen und dienen dazu, wahre persönliche Erfahrungen literarisch zu verarbeiten.) Am 02.02.2025 ist das fertige Werk im Self-Publishing erscheinen. Es war eine aufregende und lehrreiche Zeit, zweifelsohne für Frau Schickentanz, mithin auch für mich. Was habe ich gelernt? Daneben, dass ich noch mehr Verständnis und Tiefe für die tragische Situation, aber auch die Ressourcen von Kindern aus Suchtfamilien entwickeln konnte, möchte ich zwei Einsichten hervorheben: Ich habe von Frau Schickentanz gelernt, dass man Philosophie nicht vornehmlich mit dem Intellekt, vielmehr mit dem Herzen begreift. Und ich habe durch sie erfahren, wie tröstlich Philosophie sein kann, um das Leben und die Welt anzunehmen, auch wenn beides manchmal unerträglich, leidvoll und ungerecht erscheint.

    Zur groben inhaltlichen Übersicht sei folgend der Buchrückseitentext aufgeführt:

    Die Sucht der Mutter und materieller Wohlstand prägen Kindheit und Jugend der Erzählerin. Als die Mutter an den Folgen ihrer Sucht stirbt, begibt sich die Erzählerin auf die Suche. In der Rückschau spürt sie der Atmosphäre nach, in der sie aufgewachsen ist und wagt sich hinter der dissoziativen Wand von empfundener Ablehnung und Ohnmacht hervor. Sie beginnt, philosophische Fragen an ihr Leben zu stellen und enttarnt auf diese Weise allmählich das Zusammenwirken von Sucht, dem Schweigen der Anderen und der eigenen Scham.

    Diesen Text möchte ich um eine Kostprobe aus dem Buch ergänzen, welche die persönliche Ambivalenz vieler Kinder aus Suchtfamilien auf den Punkt bringt. Die Protagonistin erklärt dort ihrer Freundin Ella (S. 181, 179):

    Die empfundene Scham des Alkoholikers ist eine der Ursachen für die Sucht, ganz sicher ist sie eine Folge. Das Schweigen meiner Mutter, es war gleichgültig, beschämt und in der Folge beschämend. Meine Scham ist die Scham über eine Mutter, die getrunken hat. Die so viel und über einen so langen Zeitraum getrunken hat, dass sie daran gestorben ist. ... Meine Mutter hat mich mit meiner eigenen Scham zurückgelassen, sodass ich nun wählen kann, ob ich schweige oder spreche.

    Was ist der besondere Wert des Werkes von Schickentanz, vor allem im Vergleich mit anderen Romanen zum Thema (siehe in der Rubrik Romane auf der Seite Medien)? Drei Antworten möchte ich Ihnen geben: Erstens spielt die Geschichte von Schickentanz im gut situierten Bildungsmilieu. Bekanntlich hat Sucht keine sozialen Schranken, sie kommt in allen Schichten vor. Dennoch ist es ein erstaunliches Phänomen, dass sich beinah alle anderen Autobiografien in Familien der Unterschicht abgespielt haben. Nach meinen klinischen Erfahrungen in der Arbeit sowohl mit Suchtkranken als auch Angehörigen ist die Tabuisierung, Maskierung und Verleugnung des süchtigen Problems in der Ober- und Mittelschicht deutlich ausgeprägter als in der Unterschicht.

    Suchtbetroffenen und auch Angehörigen der Unterschicht fällt es tendenziell leichter, das Suchtproblem und die Begleit- und Folgeprobleme beim Namen zu nennen, z.B. zu sagen: "Mein Vater hat sich gestern wieder mal abgeschossen und rum randaliert. Es war voll ätzend, ich hätte kotzen können." Solche Sätze bringen gut erzogene Akademiker kaum über die Lippen. Sucht ist mittels des restringierten Codes oder des Straßejargons ungeschminkter, direkter auszudrücken. Dem Zierrat des elaborierten Codes wohnt eine diplomatische Tendenz inne, Dinge bis zur Konturlosigkeit weichzuzeichnen. Schickentanz ist hier eine erfrischende Ausnahme, sie findet trotz gehobener Sprache klare Worte zu dem süchtigen Tun ihrer Mutter. Und sie setzt ihre sprachliche Brillanz ein, um die familiäre und gesellschaftliche Doppelbödigkeit präzise zu sezieren und zu enttarnen. Ihr Mut zu dieser Offenheit und Authentizität ist zu würdigen.

    Zweitens ist der Roman von Schickentanz nicht wie üblich chronologisch geordnet. Die Geschichte beginnt am Ende mit dem Tod der Mutter, erzählt dann Jugenderfahrungen der Protagonistin mit der Mutter und ihrer Familie, wird aber immer wieder durch Erinnerungen an Episoden der Kindheit, Reflexionen des Schreibprozesses, Assoziationen und Analysen unterbrochen und springt am Ende ins Erwachsenenalter. Der rote Faden von Jenseits der Wand ist die Entwicklung der Protagonistin bzw. der Schreibprozess der Autorin. Es ist insofern ein Entwicklungsroman. Auf dem Hintergrund einer äußerlich erstarrten Situation macht sich die Erzählerin auf den Weg, ihre innere Lebendigkeit zu erkunden. Der Leser darf daran teilhaben, wie sich die Autorin autofiktional auf eine Reise zu sich selbst macht, die Essenz der scheinbar unumstößlichen familiären Gewissheiten hinterfragt, Humor, Sinn und Würde in ihrer ganz eigenen Erfahrungswelt entdeckt und darüber sich der Welt und dem Leben öffnet.

    Drittens darf das Buch als ein philosophischer Roman eingeordnet werden. Er ist voller metaphysischer, ethischer, soziologischer und psychologischer Reflexionen. Dies erinnert entfernt an die Literatur-Nobelpreisträgerin Annie Ernaux. Die beiden Autorinnen verbindet das persönliche, familiäre Thema der Scham. Schickentanz nutzt unter anderem die Lehren von Martin Heidegger, Albert Camus, Peter Bieri, Ernst Bloch und anderen, um Schicht für Schicht die eigene, die familiäre und die gesellschaftliche Doppelbödigkeit freizulegen und sich von dem Ballast der intra- und interpsychischen Abhängigkeiten zu befreien.

    Das Werk von Schickentanz ist vielschichtig, verstörend. Es ist zum einen in seinen Erzählungen anrührend, neugierig, trotzig, humorvoll, sinnlich und eigensinnig. Es lädt zu zwischenmenschlicher Nähe und Mitgefühl ein und löst Sympathie für die namenlose Protagonistin aus. Man kann gar nicht anders, als sie ins Herz schließen. Zum anderen ist der Text in seinen Reflexionen schonungslos, fordernd, kritisch und aufdeckend. Die Schreiberin schubst den Leser weg und hält ihm einen Spiegel seiner Verstricktheit und Verruchtheit vor. Das Buch kann nicht konsumiert werden, es widersetzt sich dem; es will entschlüsselt und durchdrungen werden. Dies löst Respekt, vielleicht sogar Ehrfurcht vor der Schreiberin und ihrer Authentizität aus. Einige Kapitel habe ich - aus einer inneren Notwendigkeit - zwei-, dreimal oder öfter gelesen, um alle Facetten zu verstehen. Die Tiefe der Erzählung und des Selbstfindungsprozesses kann durch den Leser nur erfahren werden, wenn er sich auf einen eigenen, ehrlichen, dialektischen Prozess einlässt. Schickentanz zu lesen, ist nicht leicht, doch lohnenswert, bereichernd und - wie schon oben angedeutet - tröstlich.

    Und noch zwei letzte Zitate aus dem letzten Kapitel, welches die selbstannehmende, lebensbejahende und doch schmerzhafte Wahl und Motivation der Autorin, zu sprechen, verdeutlicht (S. 209 - 210, 211):

    Die Antworten auf Ellas Fragen sind einfach und schwierig zugleich. Sie sind einfach, weil es Erklärungen gibt, Herleitungen, Einordnungen. Sie sind schwierig, weil die Antworten schmerzen, weil der Schmerz unsichtbar ist. An dieser Stelle droht meine Sprache zu versagen, da das Unsichtbare zwar potentiell sagbar ist, es jedoch für immer verborgen bleibt, sofern ich schweige. Noch perfider verhält es sich mit dem Sichtbaren - es umgibt mich, mitunter schon immer, jedoch ist es nicht automatisch sagbar. Damit es sagbar wird, braucht es jemanden, der die Wand öffnet, der dem Sichtbaren erlaubt, sich zu zeigen.

    Wir sollten unser Leben vom Ende her denken, das Ende der Zukunft antizipieren, um das Zeitbewusstsein eines Kindes zu erlangen, das die Fähigkeit hat, sich dem Hier und Jetzt voll und ganz hinzugeben. Nach Kierkegaard ist es der Augenblick, welcher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufhebt, der uns befreien kann von der Last des Gedankens an den Tod, an die unumstößliche Wahrheit, dass wir eines Tages gewesen sein werden. Bewegen sich unsere Ängste nicht auch in einem Raum, der aus der Vergangenheit gebildet ist und sehr mächtig in die Zukunft ragt? Demnach kann es helfen, das Gefühl der Erleichterung zu antizipieren, das immer dann eintritt, nachdem wir uns den eigenen Ängsten gestellt haben.

    Ab 02.02.2025: » Jenseits der Wand auf Books on Demand

    drobs iserlohn

    2024-12 | Vortrag & Lesung | Iserlohn

    Angehörige im Schatten der Sucht

    Am 02.12.2024 haben Frau Tessin von der Drobs Iserlohn und Frau Lichterfeld von der Angehörigenselbsthilfe zu einer Veranstaltung zum Angehörigenthema eingeladen. Wir wollten als Vortragende damit experimentieren, Vortrag und Lesung zu kombinieren. Aus dem Abstract zur Veranstaltung:

    Die Millionen still leidenden Angehörigen von Suchtkranken fallen zwischen die Hilfenetze von Suchthilfe, Prävention, Psychotherapie und Gesundheitspolitik. Es fehlen bedarfsgerechte Angebote und die Systeme kooperieren ungenügend miteinander. So wiederholen die Betroffenen die familiäre Erfahrung, nicht gesehen, zurückgewiesen und alleingelassen zu werden.

    Wir wollen uns in Vortrag und Lesung den Angehörigen solidarisch zuwenden und ihre Leiden und Probleme, aber auch ihre Ressourcen und Leistungen in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Jens Flassbeck wird fachlich zum Thema informieren und Annabelle Schickentanz wird die Fachinhalte durch Kapitel aus Ihrem autofiktionalen und noch unveröffentlichten Roman "Jenseits der Wand" emotional mit Leben füllen.

    Die Veranstaltung richtete sich gleichermaßen an die Professionen der aufgezählten Hilfesysteme wie auch an Betroffene. Im Anschluss haben wir Raum für Ressonanz gegeben. Es ist immer wieder interessant, wie unterschiedlich die Nachgespräche ausfallen. Vor kurzem in München war das Publikum, welches überwiegend aus Betroffenen bestand, sehr lebendig beteiligt. In Iserlohn war das Feedback eher verhalten, die meisten ZuhörerInnen waren "satt" und wünschten, das Erfahrene sacken lassen. Schweigen ist auch eine gute Antwort. Ich bin mir sicher, dass auf dem Rückweg - mit dem notwendigen Abstand - Antworten entstanden sind.

    Ich bin zwar erschöpft, doch mit guter Laune nach Hause zurückgekehrt. Gefreut hat mich unter anderem, dass KollegInnen gekommen waren, denn viele Betroffene gehen zu ambulanten PsychotherapeutInnen, um nach Hilfe zu suchen. Auch die Jugendhilfe war vertreten und hat die richtigen Fragen gestellt, z.B. wie die stillen Kinder in Suchtfamilien zu erkennen und erreichen sind (Dazu habe ich nachstehend eine Broschüre verlinkt). Unser Experiment, zu informieren und emotionalisieren, ist in meinen Augen gelungen. Als sonst eher Einzelkämpfer habe ich es genossen, gemeinsam auf der Bühne zu stehen.

    Am meisten hat Frau Schickentanz und mich berührt, mit welcher herzlichen Zuwendung die Drobs Iserlohn das Angehörigenthema verfolgt. Das wünsche ich mir bundesweit.

    » Broschüre Erkennen, erreichen, ermöglichen herunterladen

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