Süchtige klagen laut, Angehörige leiden still.

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illustration verstrickt

Archiv

Nachstehend finden Sie ältere Meldungen aus den Vorjahren zum Thema der Angehörigen und meinem Engagement in der Sache.

2023-09 | ARWED | Ratgeber

ARWED e.V. (Hrsg., 2023). Der Weg durch die Drogensucht unserer Kinder. Aus der Perspektive von Eltern und Betroffenen!. Bochum: ARWED e.V.

Die Arbeitsgemeinschaft der Rheinisch-Westfälischen Elternkreise drogengefährdeter und abhängiger Menschen e.V. in NRW (ARWED) hat ein Buch herausgebracht. Von der Website:

Ehemalige Süchtige und von Sucht betroffene Eltern und Angehörige haben ihr Erfahrungswissen in einem "Erfahrungsweitergeber" zusammengestellt. Wir haben die Erfahrungen und Perspektiven der Betroffenen gegenüber gestellt und in verschiedenen Phasen dargestellt. Um die schwierige Situation für beide Seiten zu bewältigen, braucht es Reflexion, Empathie und emotionale Intelligenz.

Was mir an dem Buch sehr gut gefällt, ist, dass sowohl der Prozess der Betroffenen, zu lernen, mit ihrer Suchterkrankung klarzukommen, als auch der Prozess der Eltern, zu lernen, mit ihren suchterkrankten Töchtern und Söhnen klarzukommen, parallel dargestellt werden. Auf den linken Seiten des Buches stehen die Erfahrungen der Eltern und auf der rechten Seite die der suchtbetroffenen erwachsenen Kinder. Das ist spannend und lehrreich gemacht.

» Erfahrungsweitergeber
» Website ARWED e.V.

2023-09 | Iserlohn | Vortrag

Die Drobs Iserlohn hat ihr 50-jähriges Jubiläum gefeiert. Als Referent hat man mich unter folgendem Titel eingeladen: Co-abhängige Systeme und ihre soziale Tragik. Diese Themenwahl der Drobs finde ich mutig. Doch eine etablierte und selbstbewusste Suchthilfe darf sich ruhig ein wenig Selbstkritik leisten, ohne sich die Feierlaune zu verderben. Das Thema ist darüber hinaus ein notwendiges. Sich in die Probleme der suchtkranken Klientel zu verstricken, ist das Berufsrisiko der MitarbeiterInnen und der Institutionen der Suchthilfe. Darüber gemeinsam zu reflektieren, bedeutet Psychohygiene zu betreiben.

So erstaunt, wie ich über die Einladung war, genauso positiv überrascht war ich über das Wohlwollen und die Selbstverständlichkeit, mit der die KollegInnen der Drobs dem Angehörigenthema begegneten. Dies kenne ich eigentlich nur aus Rheinland-Pfalz. Ich hatte viel Vergnügen an dem kollegialen Austausch und durfte mich darüber freuen, dass in der Drobs alles vorhanden ist, was Standard in der Angehörigenarbeit ist: Einzelberatung, Gruppe und Selbsthilfe für Angehörige.

Zu den Inhalten meines Vortrags: Begonnen habe ich mit den tragischen Ressentiments der deutschen Suchtpolitik, z.B. der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (Memorandum "Angehörige in der Sucht-Selbsthilfe", 2013), das Co-Abhängigkeitskonzept als stigmatisierend und schädlich abzuwerten und die Leiden und Probleme der Angehörigen als Stress zu bagatellisieren. Diese Vorurteile fußen auf zwei theoretischen Veröffentlichungen (Puhm & Uhl, 2007; Klein & Bischof, 2013), in denen - wunderlicherweise - beinah die gesamte Literatur zum Thema nicht berücksichtigt wurde. Die missachteten Konzepte durfte ich in Iserlohn dem Publikum würdigend vorstellen:

  • Persönlichkeitsstörung (Cermag)

  • Familienstörung (Wegscheider-Cruse, Lambrou)

  • Copingverhalten (Wegscheider-Cruse, Black, Rennert, Lambrou, Barnowski-Geiser)

  • Schemastörung (Black)

  • Transgenerationale Weitergabe (Black)

  • Bindungs- und Beziehungsstörung (Woititz)

  • Emotionsregulationsstörung (Woititz)

  • Verhaltensbezogene Abhängigkeitsstörung (Schaef)

  • Institutionelle Störung (Schaef)

  • Genderspezifische Beziehungs- und Selbstwertstörung (Beattie)

  • Komplexe Traumafolgestörung (Mellody)

  • Gesellschaftliche Störung (Arenz-Greiving)

  • Stress (Velleman, Templeton et al.)

  • Ressourcen (Lambrou, Barnowski-Geiser)

Die näheren Angaben finden Sie unter Literatur. Der Widerspruch, die aufgelisteten Konzepte gleichermaßen zu missachten als auch pauschal zu verurteilen, ist in meinen Augen destruktiv. Tatsächlich sind alle Konzepte in Sozialarbeit, Psychologie und Soziologie zeitgemäß und hilfreich. Ein komplexes Phänomen benötigt vielschichtige Erklärungsmodelle. Die Konzepte sind alle in mein eklektisches Modell von Co-Abhängigkeit (» Betroffenheit) und in meine Konzepte der Selbsthilfe und Beratung für Angehörige (Flassbeck, 2023) und die Verhaltenstherapie des komplexen Suchttraumas eingeflossen (Flassbeck & Barth, 2020).

Die zentrale co-abhängige Tragik sozialer Systeme, z.B. der deutschen Suchtpolitik und Suchtforschung, ist die übermäßige Fixierung auf die suchtkranken Symptomträger und die Bagatellisierung der Leiden und des Hilfebedarfs der Angehörigen. Um dieser Tragik abzumildern, möchte ich alternativ eine ganzheitliche Sichtweise und Vorgehensweise in Bezug auf das (co-)abhängige System vorschlagen. Professionelle Helfer können Teil des Systems werden. Von Iserlohn bin ich mit guter Laune nach Hause gefahren. Die regionalen Initiativen und Leuchtturmprojekte sind es, die zuversichtlich machen, dass ein Wandel von unten möglich ist.

2023-08 | Neuveröffentlichung | Rezension

Hornig, L. (2023). Angehörigenarbeit im Rahmen der Suchthilfe. Empfehlungen für eine verbesserte Praxis. Baden-Baden: Nomos.

Eine Kollegin aus der Suchthilfe hat mich auf die Neuerscheinung hingewiesen: Angehörigenarbeit in der Suchthilfe von Larissa Hornig. Ich habe das Buch ohne große Erwartung erworben und es erst einmal mehrere Wochen ungeöffnet auf dem Schreibtisch liegen gelassen. Das war eine grobe Fehleinschätzung. Seitdem nun schmökere ich nahezu täglich darin und bin immer noch erstaunt über das, was ich geboten bekomme. Vorweg möchte ich klarstellen: Die Vielfalt und Vielschichtigkeit der Beschreibungen und Analysen von Hornig kann man in der Kürze einer Rezension nicht annähernd gerecht werden. Deshalb sollen nur einige wenige Highlights ihrer Arbeit skizzieren werden.

Zu den Inhalten: Das Buch ist quasi dreigeteilt: 1. Zunächst gibt Hornig einen geschichtlichen Abriss zu den Entwicklungen in Bezug auf die Angehörigenproblematik seit den 30ern des letzten Jahrhunderts bis heute und beschreibt ausführlich die Konzepte der Betroffenheit von Angehörigen bzw. von Co-Abhängigkeit. Sie stellt den Stand der Angehörigenarbeit in der Suchthilfe in Deutschland und den Forschungsstand zur Sache dar. 2. Des Weiteren stellt sie eine eigene Studie vor, in der sie Angehörige zur eigenen Problematik, ihren Erfahrungen mit dem und ihren Wünschen in Bezug auf das Hilfesystem mittels eines halbstrukturierten Interviews befragt hat. 3. Auf Grundlage der Konzepte und der eigenen Ergebnisse diskutiert sie vielfältige Verbesserungsvorschläge und Empfehlungen bezüglich der Praxis von Selbsthilfe und Suchthilfe, der Forschungssituation und der Gesundheitspolitik.

Mein Resümee zum Buch möchte ich kurzfassen: Hornig gibt den Angehörigen eine Stimme, frei nach Barnowski-Geiser "hört sie, was niemand sieht" (2009). Differenziert deckt sie den Entwicklungsbedarf von Praxis, Forschung und Politik in Hinblick auf die Angehörigenproblematik auf und spricht Klartext, wohin die Reise weitergehen sollte. Es ist ein intelligentes, sowohl praxisorientiertes als auch wissenschaftliches Buch, welches in einer Linie bedeutsamer Veröffentlichungen deutscher AutorInnen - Rennert, Lambrou, Arenz-Greivin, Klein, Barnowski-Geiser, Flassbeck - steht, diese aufgreift, vertieft und ausarbeitet. Die Texte sollten meines Erachtens zur Pflichtlektüre für Praktiker, Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker werden.

Das letzte Wort aber möchte ich Larissa Hornig lassen und eine zusammenfassende Empfehlung und ihr abschließendes Fazit zitieren (S. 134-135, 140):

Folglich ist an dieser Stelle die notwendige Empfehlung abzuleiten, Fachkräfte in der Suchthilfe für die angehörigenzentrierte Sichtweise zu sensibilisieren und zu schulen, um die Belastungen und das Leiden Angehöriger beim Namen zu nennen und ihnen damit zu helfen - womit auch die, der vorliegenden Arbeit untergeordneten Fragestellungen, beantwortet werden konnten. Darüber hinaus sollte es unbedingt Gegenstand weiterer Forschung sein, die von Flassbeck begonnene Konzeptualisierung des Co-Abhängigkeitssyndroms für ein letztlich ausgearbeitetes Diagnosekonzept der Co-Abhängigkeit als eigenständige Störung weiterzuführen - um letztlich eine Innovation der Angehörigenarbeit zu beginnen.

Eine vor allem ausschlaggebende Erkenntnis aus der Literaturrecherche in Verbindung mit den empirischen Ergebnissen zum Begriff der Co-Abhängigkeit - entgegengesetzt meiner subjektiven Vorannahmen und der wohl von den meisten Wissenschafts- und Praxisvertreter:innen eingenommene Haltung, beruht auf dem deutlichen Potenzial des ursprünglichen Konstrukts und Ausgangspunkt dieses Begriffes.

» Buch bei Nomos

2023-08 | Forschung | Studie

logo university of bath

Demnächst halte ich einen Vortrag und gebe eine Fortbildung über die co-abhängige Betroffenheit von Suchthelfern. Bei der Recherche für die Veranstaltungen bin ich mal wieder über die Forschung der University of Bath zum Angehörigenthema "gestolpert". Die dortige Forschergruppe um Richard Velleman, Lorna Templeton und weiteren hat seit den 90ern spannende Studien zu den Belastungen von betroffenen Eltern, Partnern und Kindern durchgeführt (siehe auch » Fachliteratur, Rubrik Fachartikel).

Ein Artikel von Templeton, Zohhadi & Velleman von 2007 ist mir besonders aufgefallen. In der Machbarkeitsstudie wurden 13 MitarbeiterInnen von sieben Einrichtungen geschult, eine Kurzzeitintervention bei Familienangehörigen von Suchtkranken anzuwenden. Sowohl die Autorinnen als auch die MitarbeiterInnen und die 20 Familienmitglieder, welche in den Genuss der Intervention kamen, werteten übereinstimmend die Maßnahmen als gewinnbringend aus. Dennoch ziehen die AutorInnen am Ende nachstehendes negatives Fazit:

"However, organizational and commissioning issues mean that routine delivery of such an intervention may not yet be possible, until full recognition is given to the view that addiction problems are best dealt with in a more holistic way that takes into account the family context within which most people live."

In Großbritannien scheint sich die klinische Situation genauso defizitär wie auch in Deutschland darzustellen, dass wenig Bewusstsein für die familiären Zusammenhänge besteht, die Suchthilfe überwiegend symptomorientiert arbeitet und die gesundheitspolitischen Strukturen die Etablierung von angehörigenbezogenen Angeboten unzureichend fördern. Doch ein Aspekt unterscheidet die beiden Länder: Auf der Insel gibt es systematische wissenschaftliche Empirie und Aufklärung zur Problematik der erwachsenen Angehörigen, in Deutschland hingegen kaum.

Zu den Veranstaltungen bin ich übrigens von Einrichtungen der Suchthilfe eingeladen worden. Ich freue mich auf einen wertschätzenden, kritischen Diskurs über unsere Betroffenheit als Vertreter eines verstrickten Systems.

Templeton, L. J., Zohhadi, S. E. & Velleman, R.D.B. (2007). Working with family members in specialist drug and alcohol services: Findings from a feasibility study. Drugs: Education, Prevention and Policy, 14 (2), 137-150.
» Abstract einsehen

2023-06 | Sommerpause | Philosophie

illustration entspannen

In der Sommerpause ca. von Mitte Juni bis Anfang September lasse ich möglichst alles liegen, was an Arbeit erinnert. Auch Co-ABHAENGIG.de macht in der Zeit Pause. Und ich lese Bücher, zu denen ich sonst keine Muße habe: Aktuell Der Mensch in der Revolte von Albert Camus. Was hat der existentielle Klassiker mit dem Thema dieser Website zu tun? Dazu möchte ich Camus selbst zu Wort kommen lassen (S. 27):

Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt. Aber wenn er ablehnt, verzichtet er doch nicht, er ist auch ein Mensch, der ja sagt aus einer ersten Regung heraus. Ein Sklave, der sein Leben lang Befehle erhielt, findet plötzlich einen neuen unerträglich: Was ist der Inhalt dieses <Nein>? Es bedeutet zum Beispiel: <das dauert schon zu lange>, <bis hierher und nicht weiter>, <sie gehen zu weit> und auch <es gibt eine Grenze, die sie nicht überschreiten werden>.
[...]
So ruht die Bewegung der Revolte zu gleicher Zeit auf der kategorischen Zurückweisung eines unerträglich empfundenen Eindringens wie auf der dunklen Gewissheit eines guten Rechts, oder genauer auf dem Eindruck des Revoltierenden, <ein Recht zu haben auf ...> Die Revolte kommt nicht zustande ohne das Gefühl, irgendwo und auf irgendeine Art selbst recht zu haben.
[...]
Gleichzeitig mit dem Widerwillen gegen den Eindringling enthält jede Revolte eine völlige und unmittelbare Zustimmung des Menschen zu einem Teil seiner selbst.

Eine pragmatische Übertragung der absurden Metaphysik auf die Angehörigenproblematik könnte den Titel tragen: "Der süchtige Terror oder der Wille zum Leben". Im existentialistischen Sinne wünsche ich Ihnen für die Sommerpause, dass Sie sich möglichst häufig der (co-)abhängigen Tyrannei verweigern und, solidarisch mit sich und allen anderen, die ebenfalls dem Leben zugewandt sind, das Dasein in allen Facetten entdecken und genießen - gleichgültig, ob die Sonne scheint oder es regnet.

Camus, A. (2023). Der Mensch in der Revolte (35. Aufl.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. (Die Originalausgabe erschien 1951 unter dem Titel "L´Homme révolté" bei Librairie Gallimard, Paris.)

2023-05 | Herford | Fachtagung

logo diakonie herford

Die Fachstelle Sucht des Diakonischen Werkes Herford lud am 04.05.2023 zu einer Fachtagung mit dem Thema „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ ein. Der Tagungstitel lautete: "Papa und sein Monster". Anlass war die Siegelverleihung als offizieller Fitkids-Standort.

Es gab drei Fachvorträge. Zunächst berichteten Janina Kollmeier und Udo Holdmann von der Fachstelle über die langjährigen Entwicklungen ihrer Einrichtung, Kindern aus Suchtfamilien eine Stimme zu geben und bedarfsgerechte Angebote zu entwickeln. Im Anschluss informierte Sandra Groß von Fitkids Wesel über die Familiengeheimnisse und deren Auswirkungen auf Kinder in Suchtfamilien und überreichte das Siegel. Ich referierte zum Abschluss über "Bindungsauffälligkeiten des Suchttraumas". Obgleich Frau Groß und ich das Thema aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln angingen, fiel mir die große Übereinstimmung in den Kernaussagen auf.

logo fitkids

Unter anderem war Thema auf der Fachtagung, dass es einen allgemeinen Mangel an Angeboten für Kinder aus Suchtfamilien und anderen Angehörigen gibt und auch die Vernetzung der beteiligten Hilfesysteme von Suchthilfe, Jugendhilfe, Prävention, Pädagogik und Psychotherapie vielerorts verbesserungsbedürftig ist. Je schlechter die allgemeine Situation ist, desto wichtiger sind die wenigen Angebote, die es besser machen. Die Angehörigenangebote der Fachstelle Sucht des Diakonischen Werkes Herford und das Fitkids-Programm sind in meinen Augen Leuchtturmprojekte. Es ist gut, wenn sich diese vernetzen, um noch mehr Strahlkraft zu gewinnen.

Meinen Fachbeitrag habe ich für Co-ABHAENGIG.de ein wenig aufbereitet und unter die Rubrik Konzepte eingebunden. Sie können ihn dort einsehen.

» Bindung und Trauma
» Fitkids Wesel
» Angehörigenberatung Herford

2023-04 | Altenkirchen | Fortbildung

Am 21. und 22.04.2023 absolvierten wir den zweiten Teil der Fortbildung Behandlung des Suchttraumas in Altenkirchen. Die Veranstaltung umfasste vier Tage und fand in Kooperation durch die Suchtpräventionsstelle der Diakonie Altenkirchen, der Suchtprävention des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung in Rheinland-Pfalz und mir als Referent statt. Die TeilnehmerInnen kamen aus Suchtpräventions- und Suchtberatungsstellen in Rheinland-Pfalz. Einige von ihnen sind spezialisiert auf die Arbeit mit suchtbelasteten Kindern und/oder erwachsenen Angehörigen, andere arbeiten sowohl mit Suchtbetroffenen als auch mit Angehörigen.

Im ersten Teil der Fortbildung, der Ende 2021 stattfand, wurden grundlegende Kompetenzen der Diagnostik, Analyse und Behandlung vermittelt. Den darauf aufbauenden zweiten Teil der Fortbildung habe ich unter das Motto "Loslassen und Raum geben" gestellt. Die anwendungsbezogene Vermittlung der Inhalte und Kompetenzen wurde durch Übungen zur Selbsterfahrung angereichert. Folgende Methodik der Beratung/Therapie bei suchttraumatisierten (erwachsenen) Kindern und anderen suchtbetroffenen Angehörigen wurde vertieft:

  • Beziehungsgestaltung

  • Problemverständnis, Motivation, Ziele

  • Abbau von co-abhängigen Verhaltensmustern und Erlernen unabhängiger Skills

  • Disputation von abhängigen Einstellungen und Stärkung von selbstbestimmten Überzeugungen

  • körperorientierte Erlebensaktivierung, Atemtherapie, Selbstkontakt

  • Emotionsfokussierte Methoden (Angst, Wut, Trauer, Scham)

  • Traumabewältigung, Kontakt zum inneren verletzten Kind

Dadurch dass alle TeilnehmerInnen aus der Praxis kamen, hatten wir vier intensive und lehrreiche Tage des Austauschs und Ausprobierens. Als positiver Nebeneffekt der Veranstaltung konnte die schon bestehende Vernetzung in Rheinland-Pfalz ausgebaut werden. So hat sich eine Intervisionsgruppe zur Fallbesprechung und zum Austausch über angehörigenbezogene Themen gegründet, welche alle drei Monate online stattfindet.

Mein Ziel war es, eine praxisorientierte und zertifizierbare Fortbildungskonzept zu entwickeln und auszuprobieren, durch welche Fachkräfte gezielt geschult werden können, traumatisierte Kinder aus Suchtfamilien und andere psychisch erkrankte Angehörige bedarfsgerecht zu unterstützen. Dies ist uns in Altenkirchen - auch und vor allem durch die fruchtbare Kooperation von Suchtprävention, Landesamt und Psychotherapeut - voll und ganz gelungen. Mein Traum ist es, die Fortbildung in Kooperation mit einem geeigneten Träger bundesweit anzubieten, um Qualitätsstandards in der angehörigenzentrierten Arbeit zu etablieren. - Ich bin gespannt, wie es in der Sache weitergehen wird.

Auf der Seite Materialien von Co-ABHAENGIG.de finden Sie unter der Rubrik Behandlung des Suchttraumas Arbeitsmittel, die in der Fortbildung genutzt und auf Grundlage des Fachbuches Die langen Schatten der Sucht (Flassbeck & Barth, 2020) entwickelt wurden.

» Arbeitsmittel zur Behandlung des Suchttraumas
» Behandlungskonzept Suchttrauma

2023-04 | Film | Rezension

van Groeningen, F. (Reg., 2018). Beautiful Boy [Film]. United States: Amazon Studios.

Eine Betroffene, Mutter eines drogenabhängigen Sohnes, hat mir den Film empfohlen. Er beruht auf einer wahren Geschichte eines Vaters und seines drogenabhängigen Sohnes an der Westküste der USA (San Francisco, Los Angeles). Das Besondere ist, dass das Drehbuch auf den Erzählungen beider basiert, welche jeweils in Romanen niedergeschrieben wurden: "Beautiful Boy: A Father´s Journey Through His Son´s Addiction" von David Sheff und "Tweak: Growing Up on Methampetamines" von Nic Sheff.

Der Film wechselt ständig zwischen den Perspektiven von David und Nic. Die Filmszenen sind in Bezug auf den Sohn chronologisch geordnet, springen in Bezug auf den Vater indes in der Zeit hin und her. Die Rückblenden erzeugen einen noch tieferen emotionalen Einblick in das Erleben des Vaters. Der Zuschauer gerät so immer tiefer in den Strudel der eskalierend zerstörerischen Drogensucht von Nic und dem ebenso zerstörerischen Unterfangen des Vaters, den Sohn zu retten.

Die atmosphärische Dichte des Films wird durch den eher zurückhaltenden Einsatz von Sprache und durch die Inanspruchnahme von bis ins Detail ausgestalteten Kulissen, Musik, Landschaftsaufnahmen, Bildern und Symbolik verstärkt. Z.B. kommt der gleichnamige Song von John Lennon Beautiful Boy im Film vor. Das Lied handelt von einem Vater, der seinen Sohn nach einem Alptraum tröstet: "Close your eyes - Have no fear - The monster′s gone - He's on the run and your daddy′s here".

Zurück zum Filmplot: David wacht schließlich aus der Endlosschleife seines wahr gewordenen Alptraums auf. Als er von seinen verzweifelten Bemühungen loslassen kann und sich vom Sohn abgrenzt, erfährt die Geschichte eine dramatische Wendung.

» Trailer

2023-03 | Co-ABHAENGIG.de

illustration fallschirmspringende prinzessin

Seelische Verletzungen sind schwer sprachlich zu fassen. Kreative, künstlerische Ausdrucksformen helfen, einen Zugang zum Schmerz zu finden sowie die Sprachlosigkeit abzumildern. Nicht wenige suchtbetroffene Angehörige schreiben oder malen, um ihre leidvollen Erfahrungen zu verarbeiten. Dies ist eine große Ressource und ich bin oft beeindruckt von den kleinen Kostbarkeiten, welche Angehörige mir zusenden oder welche KlientInnen mit in die Therapie bringen. Nicht selten bin ich der erste Rezipient und bleibe auch der einzige. Das ist schade. Schon länger beschäftigte mich der Gedanke, ob und wie man diesen Werken eine Bühne bieten kann. Ich freue mich, dass es geklappt hat. Co-ABHAENGIG.de hat eine neue Seite erhalten: Verseform.

Ich danke den DichterInnen herzlich für ihre Beiträge. Dreierlei Zweck soll damit verfolgt werden:

  • Die Verse wollen Betroffenen einen Spiegel für die eigene Verletztheit und Verletzbarkeit bieten und darüber das furchtbare Gefühl des Abgetrenntseins abmildern, ganz allein mit der leidvollen Problematik auf der Welt zu sein.

  • Sie wollen berühren und das - auch und vor allem emotionale - Verständnis der Angehörigenproblematik bei Interessierten und Fachmenschen vertiefen.

  • Sie können in Prävention, Beratung und Therapie eingesetzt werden, um anderen Betroffenen einen Spiegel vorzuhallten und andere Menschen für die Angehörigenproblematik der Sucht zu sensibilisieren.

» Verseform

2023-03 | NACOA | COA-Aktionswoche

logo aktionswoche

NACOA Deutschland e.V. hat sich bei allen bedankt, die sich an der Aktionswoche 2023 beteiligt und den Kindern aus Suchtfamilien eine Stimme gegeben haben. Insgesamt habe es bundesweit über 120 kreative und vielfältige Aktionen gegeben. Aus den Fotos und Videos der erstmaligen durchgeführten Social Media-Kampagne #schlussmitdemstigma wurde ein Film erstellt, um darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es ist, das Tabu zu brechen. Auch wurde auf der Website der Aktionswoche ein Pressespiegel mit Beiträgen in Radio und Fernsehen zusammengestellt.

Als jemand, der schon seit vielen Jahren mit Überzeugung und Engagement an der Aktionswoche teilnimmt, denke ich, dass das Thema der erwachsenen Kinder aus Suchtfamilien und auch anderer Angehöriger in der Woche zu wenig Beachtung findet. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass der WDR 5-Beitrag "Co-Abhängigkeit: Mitgefangen in der Sucht der Anderen", an dem Chandika Loh, Jil Rieger und ich beteiligt waren, Eingang in den Pressespiegel gefunden hat. - Schauen bzw. hören Sie selbst herein!

» Presse zur Aktionswoche 2023
» Film auf YouTube

2023-02 | COA-Aktionswoche | Workshop

Im Rahmen der COA-Aktionswoche vom 12. bis 18.02. habe ich einen eintägigen Workshop gegeben: Reden, fühlen, trauen. Geladen waren psychotherapeutische KlientInnen, die durch eine Kindheit in einer Suchtfamilie traumatisiert sind. Teil der dissoziativen Symptomatik ist, dass sich die Betroffenen allein und abgetrennt fühlen und nicht über ihr Erleben sprechen können. Sie sind gefangen im stillen Leiden. Der Workshop sollte dazu dienen, Öffentlichkeit herzustellen, Abgetrenntheit abzumildern und Raum für Begegnung und Austausch zu geben. Er war inhaltlich dreigeteilt:

  • Scham, Schweigen und Annahme

  • Trauer, Verletztheit und Trost

  • Wut, Sehnsucht und Lebenslust

In vor allem Paar- und Kleingruppenarbeit wurde Raum gegeben, miteinander zu schweigen, zu reden, sich gegenseitig zuzuhören und sich zu verstehen. Eine Teilnehmerin meldete am Ende zurück, mit ganz viel Angst gekommen zu sein und das erste Mal in ihrem Leben über ihre Vergangenheit und Verletztheit geredet zu haben. Sie drückte Erleichterung und Erstaunen darüber aus, in den anderen einen Spiegel ihrer selbst gefunden zu haben. Eine andere Teilnehmerin lachte und weinte gleichermaßen zum Abschluss, weil sie soviel Wertschätzung erfahren habe, was sie noch nicht einzuordnen wisse.

Für mich als Psychotherapeut war es eine berührende Erfahrung, wie die TeilnehmerInnen über ihren eigenen Schatten gesprungen sind. Betroffene, die nicht weinen können, nicht wütend werden können, keine Nähe eingehen können oder sich selbst ablehnen, haben im Verlauf des Workshops wie selbstverständlich geweint, sind laut geworden und haben es genossen, anderen nahe zu sein und Annahme zu erfahren. - Selbsthilfe ist die beste Hilfe. Die TeilnehmerInnen haben sich verabredet, um über die Gründung einer Selbsthilfegruppe zu sprechen.

Um Ihnen einen Einblick in die Therapie des Suchttraumas zu geben, ist der Impuls Wütender Lebenshunger angehängt, der als Fragestellung für den dritten Teil des Workshops diente. Nutzen Sie ihn gerne, um Ihre Lebenslust und -unlust zu explorieren.

» Wütender Lebenshunger

2023-02 | Bundesweit | COA-Aktionswoche

Vom 12. bis 18.02. findet die bundesweite Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien unter dem Motto "Vergessenen Kindern eine Stimme geben" statt. Folgendes Zitat stammt von der Website der COA-Aktionswoche und informiert umfassend über Ablauf, Inhalt und Zweck:

Ziele der COA-Aktionswoche: Kinder aus suchtbelasteten Familien sollen gehört und gesehen werden. Mit der COA-Aktionswoche rücken wir Kinder aus suchtbelasteten Familien eine Woche lang in den Fokus der Öffentlichkeit und der Medien, damit deutlich wird: Mehr als 2,6 Millionen Kinder in Deutschland leiden unter Suchtproblemen ihrer Eltern. Wir, das ist zum einen der Verein NACOA Deutschland, der die COA-Aktionswoche bundesweit organisiert – aber natürlich auch alle Mitmachenden, wie Vereine, Initiativen, Organisationen, Anlaufpunkte, COA-Hilfsangebote, Selbsthilfegruppen u. v. m.

Während der COA-Aktionswoche – immer rund um den Valentinstag am 14. Februar:

  • sensibilisieren wir Menschen, die mit Kindern arbeiten (Erzieher*innen, Lehrer*innen, Sporttrainer*innen, Jugendgruppenleiter*innen, Ärzt*innen...), Kinder aus suchtbelasteten Familien zu erkennen.

  • stellen Projekte und Initiativen mit Aktionen und Veranstaltungen ihre Arbeit vor.

  • machen wir Hilfsangebote öffentlich.

  • fordern wir politisch Verantwortliche von Gemeinden bis in den Bund auf, sich für mehr Unterstützungsangebote für COAs einzusetzen und diese Hilfen langfristig zu finanzieren.

Die COA-Aktionswoche gibt es seit 2011 in Deutschland und in den USA. Außerdem findet sie z.B. regelmäßig auch in Großbritannien, der Schweiz, in Korea oder Slowenien statt.

» Website
» Aufruf

2023-02 | WDR 5 | Podcast

Die Journalistin Laura Mareen Janssen hat für WDR 5 einen Podcast erstellt: "Co-Abhängigkeit: Mitgefangen in der Sucht des Anderen". In dem Feature kommen die beiden selbstbetroffenen Expertinnen Chandika Loh und Jil Rieger und auch ich als Psychotherapeut zu Wort. Frau Janssen hat die Inhalte der drei Interviews dramaturgisch so kunstvoll miteinander verwoben, dass ein informatives, umfassendes und gut zugängliches Bild zum Thema entsteht, welches gleichermaßen Selbstbetroffene, Fachleute als auch am Thema Interessierte anspricht. Rundum gelungen und hörenswert, wie ich finde! Der Podcast wird am Montag den 13.02. in der Sendung Neugier genügt zwischen 10:04 und 12:00 auf WDR 5 ausgestrahlt und ist auf der WDR 5-Seite aufrufbar. Aus der Anmoderation des Radiobeitrags:

Co-abhängige Menschen sind in der Regel Kinder, Partner:innen oder Freunde von Suchtkranken. Viele von ihnen leiden sehr unter dem Miterleben der Sucht und nicht selten führt das zu gesundheitlichen Schäden, berichtet Laura Mareen Janssen.
Einen Menschen lieben, der suchtkrank ist. Chandika Loh und Jil Rieger haben das beide erlebt. Bei Jil war es die erste große Liebe mit Anfang 20. Chandika heiratet ihren Partner und bekommt 2 Kinder. Das war 1985. 37 Jahre liegen zwischen den Erfahrungen der beiden. Und doch gibt es da diese dunklen Momente im Zusammenleben mit ihren Partnern, die beide kennen: die emotionalen und auch körperlichen Übergriffe, die mit jedem Konsum normaler werden. Und auch das Hoffen, dass alles besser wird, wenn man das Suchtproblem des anderen in den Griff bekommt.

» Podcast auf WDR 5

2023-02 | Rohde, Rieger | Podcast

In seinem Podcast "Schnacken mal anders" unterhält sich Lukas Rohde mit Jil Rieger über ihre co-abhängigen Erfahrungen: "Jil Rieger - Co-Abhängigkeit - Sucht betrifft immer mehr als eine Person". Jil Rieger beherrschte die Kunst, ihre belasteten Lebenserfahrungen in unprätentiöse Worte zu kleiden. Sie macht es sich schwer, damit es leicht wird. Ihre Ausführungen sind authentisch, intelligent und überfordern nicht. Lukas Rohde macht es richtig, indem er durch seine Frage zwar inhaltlich ein wenig steuert, doch ihr dabei viel Raum für die narrative Entfaltung lässt. Eine Betroffene, der ich die Sendung empfohlen habe, meldete mir zurück, durch Jil Rieger verstanden zu haben: "Selbstlosigkeit ist auch eine Sucht. Eigentlich ist es dasselbe, nur in einer Form." Hören Sie mal rein und bilden Sie sich selbst eine Meinung!

Übrigens, Jil Rieger unterhält einen eigenen Podcast zum Angehörigenthema: Liebling, wir sind abhängig!.

» Podcast Schnacken mal anders
» Podcast Liebling wir sind abhängig!

2022-12 | NACOA | Website

NACOA Deutschland, die Interessenvertretung für Kinder aus suchtbelasteten Familien, startet eine neue Internetplattform als Informations- und Beratungsangebot in altersgerechter Sprache. Wie kommen Kinder und Jugendliche von suchtkranken Eltern an Informationen und Hilfsangebote? Wie erreicht man sie im Internet um Ihnen zu zeigen, dass Sie nicht alleine sind? Wie finden sie Wege aus der Krise?

NACOA hat sein bisheriges Angebot für diese Zielgruppe überarbeitet und bietet nun unter dem Motto "Trau Dir!" altersgerechte Informationen an. Comics aus dem Alltag und Hörbeispiele mit Berichten von Betroffenen zeigen die unterschiedlichen Rollen, die Kinder als Folge der Suchtkrankheit der Eltern einnehmen. Die Betroffenen werden motiviert, sich anderen in ihrer Not anzuvertrauen, und es werden ihnen konkrete Möglichkeiten aufgezeigt, sich Hilfe zu holen.

» Website

2022-12 | Weiße Weihnacht

Weiße Weihnacht ist eine Kampagne, ein Zeichen der Solidarität mit den Kindern aus Suchtfamilien zu setzen und über die Festtage auf Alkohol zu verzichten. Für viele der drei Millionen suchtbelasteten Kinder in unserem Land ist aktuell die schlimmste Zeit des Jahres. Advent, Weihnachten und Silvester sind für sie verbunden mit Vernachlässigung, Streit und Gewalt. Weitere fünf bis sechs Millionen erwachsene Kinder aus Suchtfamilien stecken entweder noch mitten in der Sache drin oder, falls sie sich befreien konnten, werden von ihren traurigen Erinnerungen heimgesucht. Meine Gedanken sind ebenso bei den weiteren Angehörigen, denen die suchtbegründeten Sorgen und Nöte die Festzeit verderben.

Weiße Weihnacht verstehe ich als einen Gegenentwurf zum gesellschaftlichen Konsum- und Harmonierausch dieser Tage und steht für nüchterne Besinnung. Weniger ist bekanntlich mehr! Gönnen Sie sich Augenblicke des Innehaltens. Eine kleine adventliche Achtsamkeitsübung möchte ich Ihnen vorschlagen: Machen Sie einen mehr oder weniger ausgiebigen Spaziergang durch die Kälte und Dunkelheit dieser Tage. Danach erfreuen Sie sich mit einer warmen Tasse Kräutertee in der Hand daran, einer Kerze zuzusehen, wie sie in aller Seelenruhe herunterbrennt. Dies schafft die innere Voraussetzung dafür, an den Advents- und Festtagen sich selbst und anderen Momente ungeschminkter Zuwendung und Aufmerksamkeit zu schenken. Gemeinsam, nüchtern und besonnen singt es sich viel schöner unter dem Weihnachtsbaum.

Machen Sie mit bei Weiße Weihnacht und erklären Sie Ihre Teilnahme und Unterstützung auf der verlinkten Website.

» Website Weiße Weihnacht

2022-11 | BARMER | Interview

In schon 2020 hatte ich ein Interview zur Angehörigenproblematik mit einer Journalistin, die dieses im Auftrag der Barmer führte. Die Angelegenheit habe ich aufgrund der Corona-Krise aus den Augen verloren. Um so erstaunter war ich nun, als ich durch eine Zuschrift über den Beitrag gestolpert bin: "Co-Abhängigkeit: Mit Sucht umgehen als Angehöriger". Da es mir gut gefällt, wie die Internetredaktion der Barmer die Informationsfülle des Interviews in Szene gesetzt hat, ist es folgend verlinkt.

» Interview

2022-11 | ZEIT | Artikel

die zeit

In der ZEIT vom 10. November 2022 wurde ein Artikel zum Thema der Kinder aus Suchtfamilien publiziert (S. 20). Der Artikel "Mama?" ist meines Erachtens gut recherchiert und er wurde treffenderweise in der Rubrik Verbrechen gebracht. Sara und ihr jüngerer Bruder wurden durch die alkoholkranke Mutter jahrelang missbraucht. Die Behörden wussten davon, unternahmen aber nichts. Als junge Frau, obgleich psychisch krank, traut sie sich, die Mutter anzuzeigen. Ich danke dem Journalisten, Alexander Rupflin, für den ungeschminkten, schonungslosen Text und empfehle allen, die nicht zu zartbesaitet sind, die Ausgabe der ZEIT zu erwerben, um ihn zu lesen. Online konnte ich den Artikel bedauerlicherweise nicht finden, sodass er nicht verlinkt ist.

Seit ungefähr zwei Jahrzehnten bin ich treuer ZEIT-Leser. Es ist der erste Beitrag, den ich zum Thema in der ZEIT entdeckt habe. Bitte, bitte, liebe ZEIT-Redaktion, bringt das sowohl individuell tragische als auch gesellschaftlich brisante Thema häufiger. Es benötigt motivierende, kritische Öffentlichkeit, damit die Gesundheitspolitik und die Hilfesysteme endlich ihre diesbezügliche Missachtung und Trägheit überwinden und der Not der Betroffenen angemessen tätig werden. Vernachlässigkeit und Übergriffigkeiten, wie sie Sara und ihr jüngerer Bruder erfahren haben und aktuell drei Mio. Betroffene tagtäglich erfahren, sind oftmals juristisch, doch stets moralisch ein Verbrechen. Unterlassene Hilfe durch Missachtung und Untätigkeit, gleichgültig ob es von einzelnen Personen, Institutionen oder der Gesellschaft ausgeübt wird, ist in meinen Augen ebenso ein ethisches Verbrechen.

2022-10 | Warstein | Fortbildung

nein, einen scheiß muss ich

Im Oktober habe ich eine eintägige Fortbildung zum Thema Co-abhängige Verstrickungen in der Suchthilfe gegeben. Ich bin gleich mehrfach positiv überrascht, dass das Fort- und Weiterbildungszentrum Warstein des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe dieses brisante und tabuisierte Thema angefragt hat, dass ausreichend MitarbeiterInnen der westfälischen Suchthilfe gekommen sind und die Veranstaltung stattgefunden hat sowie dass die TeilnehmerInnen, mehrheitlich aus der Sozialarbeit, ein Bewusstsein für die Problematik mitbrachten. Ich nehme an, dass genau die MitarbeiterInnen der Suchthilfe gekommen sind, die für das Thema offen sind. Den Workshop habe ich als ganz gewinnbringend erlebt und ich bin bereichert und optimistisch nach Hause gefahren.

Die Inhalte des Workshops sind kurz skizziert: 1. Suchtkranke bringen eine starke Zerissenheit oder Widersprüchlichkeit mit, die alle, die einen engen Kontakt haben und helfen wollen, herausfordert. Sucht ist eine Krankheit, aber es ist auch ein manipulatives, unsoziales und übergriffiges Verhalten. 2. Suchthelfer sind Menschen mit psychosozialen Neigungen und Problemen und können sich infolgedessen in den abhängigen Ambivalenzen und Manipulationen verstricken. Ich bezeichne es als co-abhängige Gegenübertragung, wenn Helfer die süchtige Devianz bagatellisieren und verleugnen, Sucht ausschließlich als Krankheit wahrnehmen und übermäßig helfen. 3. Verstrickungen können nicht verhindert werden, sie ergeben sich. Doch sie können genutzt werden. Es geht darum, sie aufzuspüren und geeignete Strategien der Grenzsetzung einzusetzen und die Unabhängigkeit als Helfer wiederherzustellen.

Darüber geschieht Entwicklung, auf Seiten der Suchthelfer und auch, falls sie sich einlassen, der Klienten. Deswegen ist es wichtig, dass Suchthelfer fortwährend ihr Berufsrisiko reflektieren (Kollegiale Beratung, Selbsterfahrung, Supervision) und flexibel sowohl Strategien des Helfens als auch der Abgrenzung einsetzen können. Eine gute Psychohygiene auf Seiten der Suchthelfer ist gleichbedeutend mit einer unabhängigen Beziehungsgestaltung und dies ist wiederum Voraussetzung für eine effektive und nachhaltige Suchthilfeleistung. Die Qualität der Psychohygiene und die der Hilfeleistung stehen in einer notwendigen Wechselwirkung und verstärken sich gegenseitig.

In der Vorbereitung der Fortbildung habe ich eine Tabelle als Hilfsmittel erstellt. Ich habe dabei entwurfsmäßig ausprobiert, den Zusammenhang der psychosozialen Auffälligkeiten der Sucht, der co-abhängigen Gegenübertragungen und der Alternativen der gesunden Abgrenzung herzustellen. Der Entwurf wurde durch das Erarbeitete im Workshop bestätigt und durch die Anregungen der TeilnehmerInnen konnte ich Dinge noch präzisieren. Für die TeilnehmerInnen und alle anderen Interessierten ist die Tabelle zum Herunterladen verlinkt.

» Tabelle: Süchtige Auffälligkeiten, co-abhängige Gegenübertragungen und gesunde Abgrenzung

2022-09 | Detmold | Vortrag

Die Selbsthilfe-Kontaktstelle Detmold feiert dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Selbsthilfe ist wichtig und sie ist zentral. Jede Hilfe, gleichgültig ob Selbsthilfe, Beratung oder Therapie, ist im Kern Hilfe zur Selbsthilfe. Ein gut gemachtes Hilfeangebot basiert auf der Förderung von Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. Die Autonomie des Hilfesuchenden ist Ausgang, Methode und Ziel einer effektiven Hilfeleistung. Deswegen ist Selbsthilfe das Eigentliche.

Anders als im Bereich Sucht mangelt es an Selbsthilfeangeboten für erwachsene Kinder aus Suchtfamilien und andere Angehörige. Deswegen freut es mich, dass die Kontaktstelle mich eingeladen hat, im Rahmen ihres Jubiläums einen Vortrag zu halten. Der Titel lautet: "Die langen Schatten der Sucht. Eine unglückliche Kindheit, ein unglückliches Leben?" Näheres über die Inhalte können sie in der verlinkten Ankündigung erfahren. Die Veranstaltung findet in Präsenz am Mittwoch 07.09. um 19:00 Uhr in der Kontaktstelle in der Bismarckstraße 8 in Detmold statt.

» Ankündigung Vortrag (PDF)

Nachschlag zum Vortrag, 09.09.2022: Es war schön, wieder einen Vortrag in Präsenz zu halten und unmittelbare, zwischenmenschliche Ressonanz zu erfahren. Das gesundheitspolitische Fazit meines Vortrags möchte ich hier festhalten, weil es auf den Punkt bringt, wo Entwicklungsbedarf besteht: Für betroffene Kinder und andere Angehörige wünsche ich mir, dass sich mehr Präventionskräfte, Pädagogen, Sozialarbeiter, Suchttherapeuten und Psychotherapeuten in der Behandlung des Suchttraumas qualifizieren und engagieren. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich die Millionen Betroffenen in der Selbsthilfe zusammentun, sich organsieren und vernetzen, Politik in eigener Sache machen, gesellschaftlich aufbegehren und lauthals Unterstützung einfordern. Denn Selbsthilfe ist das Eigentliche.

Das Honorar habe ich in Absprache mit der Selbsthilfe-Kontaktstelle NACOA Deutschland gespendet.

2022-08 | Selbsthilfe | Kommentar

eis

Die Apotheken Umschau hat einen Artikel über Co-Abhängigkeit mit einem Interview mit mir gebracht (s.u.). Daraufhin habe ich viele Zuschriften von Angehörigen erhalten, die sich gefreut haben, dass ihre Thematik aufgegriffen wurde. Sie haben sich durch den Artikel von Herrn Andrae und meine Interviewaussagen verstanden gefühlt. Ebenso viele haben mich angeschrieben, weil sie Hilfe suchen und meinen Rat hören wollten.

Ein Detail des Interviews betraf das 12-Schritte-Programm der Al-Anon, welches ich ambivalent bewerte. Einerseits schätze ich Al-Anon, weil sie immerhin eine Angehörigenselbsthilfe vorhalten, und andererseits gefällt mir am 12-Schritte-Program nicht, dass es religiös, autoritär und nicht mehr zeitgemäß ist. Über diese, meine Meinung waren einige unzufrieden und sie haben mir ihre anders lautende Sichtweise dargestellt. Gedanken sind bekanntlich frei und ich habe diese Bekundungen als Bereicherung erfahren. In zwei Fällen wurde ich sogar gefragt, wie ich zu einer solchen Bewertung komme. Daraus hat sich ein für beide Seiten gewinnbringender Austausch ergeben.

Nun habe ich von bekennenden AA, also Suchtbetroffenen, auch einige wenige unfreundliche Zuschriften erhalten. Sie schreiben genau in der Form, die ich als autoritär kritisiere. Der Duktus ist von oben herab und belehrend. Darauf möchte ich hier nicht eingehen. Ich lösche solche Emails und lass mir den Tag nicht verderben. Auch darauf, dass diese AA nicht bemerkt haben, dass es nicht um Sucht, sondern um die Angehörigenproblematik geht, will ich nicht weiter eingehen. Lieber gehe ich ein Eis essen.

Nur eins möchte ich vertiefen. Im Programm steht drei Mal das Wort Gott, zwei Mal ist die Sprache von Beten und es wird u.a. aufgefordert, sich der Sorge Gottes anzuvertrauen. Dennoch werde ich in den Zuschriften von AA zurechtgewiesen, dass ich das Programm falsch verstehe und es nicht religiös sei. Das Wort Gott würde für etwas Spirituelles stehen und jeder/jede sei frei, darunter zu verstehen, was er/sie möchte. Merken Sie den Widerspruch? Wenn ich dieser Einladung zur individuellen Auslegung nachkomme und das Wort Gott auf meine Art und Weise wortwörtlich und religiös begreife, dann liege ich in den Augen dieser AA falsch und werde verbal „gesteinigt“. Da passt etwas nicht.

Ich mag an Religion, dass alles Auslegung ist. Dies hat Religion mit Eissorten gemein, einer mag Schokolade, ein anderer Erdbeere und ein weiterer Vanille. Geschmack ist wie Glaube eine sehr subjektive Angelegenheit. Früher zu Zeiten der Kreuzzüge war dies anders, doch heute in demokratischen Zeiten darf jeder/jede glauben und an Eis wählen, was er/sie lieb hat. Das gefällt mir. Und noch eins, liebe AA: Religion ist im Kern durch den Glauben an einen Gott oder mehrere Götter definiert. Das Wort Gott meint Gott. Das ist nicht diskutierbar, sonst wird menschliche Kommunikation beliebig. Wo kommen wir hin, wenn wir religiös Gott sagen, indes spirituell Eis meinen?

Eins habe ich durch die belehrenden Zuschriften der AA verstanden. Dafür bin ich dankbar. Das 12-Schritte-Programm ist zur Behandlung von Sucht entwickelt worden. Es geht darum, süchtiges Unrecht und Fehlverhalten zu erkennen und die angerichteten Schäden - soweit möglich - wiedergutzumachen. Dafür ist das Programm geeignet und hat in den letzten Jahrzehnten einen guten Job gemacht. Doch warum wurde es eins zu eins auf die Angehörigenhilfe übertragen? Kinder und Angehörige sind Opfer der Sucht. Sie helfen selbstlos und leiden unter übermäßigen Scham- und Schuldgefühlen. Ihnen wird Unrecht getan. Sie brauchen ein anderes, komplementäres Programm, welches sie anleitet, das ihnen angetane Unrecht zu erkennen, sich konsequent davon abzugrenzen und das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen. Das 12-Schritte-Programm zielt am Bedarf der Angehörigen vorbei. In der Kooperation mit Al-Anon-Gruppen habe ich erfahren, dass diese die Fehlausrichtung sehr wohl erkennen und korrigieren. Das ist gut so.

Zurück zum Thema des Artikels in der Apotheken Umschau: Es mangelt an Selbsthilfe für Angehörige. Das 12-Schritte-Programm ist keine Lösung dieses gesellschaftlichen Defizits. Für eine bedarfsgerechte, angehörigenzentrierte Selbsthilfe braucht es zeitgemäße, fachlich fundierte Konzepte, wie beispielsweise das AWOKADO-Konzept von Barnowski-Geiser (2015) oder mein Leben-zurück-Konzept (Flassbeck, 2021). Diesbezüglich sind alle Selbsthilfeverbände gefragt, sich zu engagieren und nachzubessern. Das wissenschaftliche AnNet-Projekt (Angehörigennetzwerk, 2017) hat übrigens vorgemacht, wie eine solche Selbsthilfe gelingen kann.

2022-07 | Interviews

Ende Juni und Anfang Juli haben das Magazin der Süddeutsche Zeitung und die Apotheken Umschau das Thema Co-Abhängigkeit aufgegriffen. Die Beiträge sind mit Interviews mit mir angereichert worden. Ich danke den JournalistInnen Frau Sara Peschke und Herrn Christian Andrae für die gelungene Kooperation. In beiden Artikeln wird das Thema in seiner leidvollen Tragweite und gesellschaftlichen Tabuisierung angemessen behandelt. Seitdem habe ich jede Menge Zuschriften von betroffenen Angehörigen und in der Angehörigensache engagierten Personen erhalten. Das erlebe ich sehr bereichernd. Zwei Dinge fielen mir dabei besonders auf.

Erstens suchen viele Angehörige Hilfe und wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen, weil es bei Ihnen vor Ort an speziellen Angeboten mangelt. Zweitens haben mich Selbsthilfestellen und auch Präventionsstellen auf ihre Hilfeangebote für Angehörige und Kinder aus Suchtfamilien hingewiesen. So habe ich erfahren, dass es in Erfurt eine gut aufgestellte Elternhilfe gibt, in München eine Selbsthilfe, die Sucht als Familienstörung versteht und entsprechend auch Angebote für Angehörige realisiert, und in Bochum eine Jugendhilfestelle mit besonderem Augenmerk auf Kinder und Jugendliche aus Suchtfamilien. Ich wünsche mir, dass sich diese Leuchtturmprojekte besser vernetzen würden, um an einem Strang in der Sache zu ziehen, sich gegenseitig zu bereichern und Vorbild für die vielen Regionen zu sein, die angehörigenbezogen unterversorgt sind.

» Apotheken-Umschau 24.06.2022
» Süddeutsche Zeitung Magazin 04.07.2022 (Bezahlinhalte)

2022-06 | Rezension | Neuerscheinung

Barnowski-Geiser, W. (2022). Krankheitsscham - die verborgene Emotion. Erkennen, verstehen, helfen. Stuttgart: Klett-Cotta.

Frau Dr. Barnowski-Geiser, die Autorin des Ratgebers "Vater, Mutter, Sucht" für erwachsene Kinder aus Suchtfamilien, hat ein Buch über Krankheitsscham veröffentlicht. Krankheitsscham ist demnach ein Prozess, der allen somatischen und seelischen Krankheiten zugrunde liegt, den Krankheitsprozess verstärken und den Heilungsprozess hemmen kann. Wie Schamreaktionen in der Behandlung therapeutisch aufgegriffen und für die Genesung sogar genutzt werden können, wird in dem Buch differenziert dargestellt. Ich durfte das Werk für das Socialnet rezensieren.

Warum ist das Thema Krankheitsscham im Zusammenhang der Angehörigenthematik wichtig? Die Neigung, mit Scham auf Erkrankungen zu reagieren, ist stark von der biografischen Vorbelastungen abhängig, in der Kindheit beschämt, beschuldigt oder erniedrigt worden zu sein, was im Buch ausführlich dargestellt wird. Beschämung ist ein Trauma, welches Kinder in Suchtfamilien und auch andere Angehörige von Suchtkranken im Besonderen betrifft. Die Neuerscheinung ist daher auch ein wertvoller Gewinn, psychisch oder psychosomatisch erkrankte Angehörige zu verstehen und ihnen zu helfen.

» Rezension auf Socialnet
» Buch bei Klett-Cotta

2022-06 | Co-ABHAENGIG.de | Kurzgefasst

pictogramm interview

Im letzten Jahr haben JournalistInnen gehäuft wegen Interviews zur co-abhängigen Thematik angefragt. Dies löst ambivalente Reaktionen in mir aus. Auf der einen Seite sind Interviews stressig und ich bin nicht gut darin, verstrickte Sachverhalte spontan, eloquent auf den Punkt zu bringen. Als Psychotherapeut kann ich besser Fragen stellen, als Antworten geben. Die JournalistInnen wünschen - verständlicherweise - prägnante Antworten und unterschätzen dabei die Komplexität der co-abhängigen Problematik und die gesellschaftliche Brisanz des Tabuthemas. Auf der anderen Seite benötigt die Angehörigensache Öffentlichkeit. Genau daran mangelt es. Das Engagement der JournalistInnen finde ich daher begrüßens- und unterstützenswert.

Angeregt durch die Interviews habe ich Co-ABHAENGIG.de mit einer neuen Seite versehen: Kurzgefasst. Hier habe ich die wichtigsten Fragen gesammelt und versucht, Antworten auf den Punkt zu bringen, damit Sie sich einen schnellen Überblick über die Angehörigenthematik verschaffen können.

» Kurzgefasst

2022-05 | NRW | RISKID

suchthilfestatistik

Die Landesregierung von NRW regelt als erstes Bundesland den Informationsaustausch bei Verdacht auf Kindesmisshandlung. Das Problem des "Doctor-Hopping" ist altbekannt: Wenn KinderärztInnen ihren Verdacht auf Misshandlungen ansprechen, verschleiern die Täter ihr Handeln, indem sie die Praxis wechseln. Dieselbe Täterstrategie wird auch bei Kita- und Schulwechseln angewendet.

Misshandlungen und Vernachlässigung ist allzu häufig mit Suchtmittelmissbrauch der Eltern assoziiert. Psychische Gewalt und Vernachlässigung haben alle meine psychotherapeutischen KlientInnen in ihrer Kindheit in einer Suchtfamilie erlebt. Geschätzt die Hälfte von ihnen war auch physischer und sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Eine besondere Schwere ist dadurch gegeben, dass Vernachlässigung und Übergriffigkeit gewöhnlich viele Jahre andauern, die Umwelt wegschaut und die Kinder keinen Schutz erfahren. Das Hilfesystem ist zwar bemüht, doch allzu oft hilflos.

Mit Hilfe des digitalen Informationssystems RISKID soll der interkollegiale Austausch von ÄrztInnen bei Verdachtsfällen erleichtert werden. Auch weitere Facharztgruppen wie z.B. GynäkologInnen, AllgemeinmedizinerInnen und Kinder- und JugendpsychotherapeutInnen sind aufgefordert, sich zu beteiligen. In dem System können sich ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen wie in einer virtuellen Großpraxis über Befunde und Diagnosen austauschen, wenn unklar ist, ob bei einem Kind ein Missbrauch oder eine Misshandlung vorliegen könnte. Andere Institutionen wie Jugendämter oder Schulen sind vom Informationssystem aus Datenschutzgründen ausgeschlossen. RISKID ist meines Erachtens ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

» Website RISKID

2022-05 | IFT Institut | Suchthilfestatistik

suchthilfestatistik

Die Deutsche Suchthilfestatistik (DSHS) ist das nationale Dokumentations- und Monitoringsystem im Bereich der Suchthilfe in Deutschland und wird jährlich durch das Institut für Therapieforschung (IFT) in München durchgeführt und publiziert. Ich habe mir das 204 Seiten starke Werk von 2020 vorgenommen (» Statistik als PDF) und nach Statistiken zu Angehörigen gesucht. Eine einzige Erwähnung der Angehörigen habe ich entdecken können (S. 17): 8% der Betreuungen fanden "mit Angehörigen oder anderen Bezugspersonen" statt.

Ob die Angehörigen eine eigene Beratung erhielten oder nur in die Betreuung der Suchtkranken einbezogen wurden, wird nicht in der Zahl aufgeschlüsselt. Darüber hinaus gehen in die Statistik sowohl kurze als auch lange Betreuungen gleichberechtigt ein. Es ist anzunehmen, dass Angehörige eher kurze Beratungen erhalten und die zeitintensiven Prozesse für die suchtkranke Klientel reserviert sind. Die Zahl der Angehörigenbetreuungen ist in Folge dessen beträchtlich, im unbekannten Maß nach unten zu korrigieren, um den wahren Aufwand der ambulanten Einrichtungen für Kinder und andere Angehörige einzuschätzen. 22 Jahre nach dem von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen ausgerufenen "Jahr der Angehörigen" darf man mithin von Systemversagen sprechen.

Drei weitere Stellen sind mir in Hinblick auf die Angehörigenproblematik in dem DSHS besonders ins Auge gefallen. In der Statistik zur Verteilung von Hauptdiagnosen in ambulanten Einrichtungen erfährt man (S. 18), dass nahezu die Hälfte der Klienten die Einrichtungen aufgrund alkoholbezogenen Störungen aufsucht (48%). Es folgen Störungen im Zusammenhang von Cannabinoiden (19,7%) und Opioiden (9,5). Allerdings gibt es in der Statistik keine Angaben zu Angehörigen, obgleich die meisten Suchtberatungsstellen heute Angehörigenberatung anbieten. Warum wird diese nicht ebenfalls erfasst?

Auf den Seiten 15 bis 17 werden die verschiedenen Angebote der ambulanten Einrichtungen und deren Kooperationen mit anderen Diensten quantifiziert. Zwar erfährt man, dass 90,8% der Einrichtungen Sucht- und Drogenberatung und 52,8% Prävention und Früherkennung anbieten sowie 72,3% der Einrichtungen mit der Selbsthilfe kooperieren, doch die Angehörigeangebote werden nicht erhoben. Warum nicht?

Neben den konsum- und verhaltensbezogenen Suchtproblemen werden weitere Problembereiche untersucht (S. 20). Die Hälfte der ambulanten Klienten gibt demnach psychische Probleme an und etwas zwei Fünftel schätzt die familiäre Situation als problematisch ein. Gewaltausübung wird indes selten berichtet (3,9%). Die AutorInnen gehen aufgrund der tabubesetzten Thematik von einer Untererfassung aus. Die Zahl spiegelt folglich die süchtige Verleugnung wieder. Warum wird nicht in Bezug auf die Opfer, also die Angehörigen, ergänzend nach Problembereichen wie z.B. Gewalt gefragt, um zu Daten zu gelangen, die die Realität eher abbilden?

Dem IFT Institut habe ich eine E-Mail mit meinen Fragen und Anmerkungen geschickt und tatsächlich schon am Folgetag eine freundliche und aufschlussreiche Antwort erhalten. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken! In der Antwort wird erstens der angehörigenbezogene Mangel der Statistik bestätigt, aber auf den Kernzweck der DSHS verwiesen, die Versorgung von Menschen mit Suchterkrankung mit Fokus auf leistungsrelevante Tatbestände darzustellen. Zweitens werden methodische Schwierigkeiten erläutert. Und drittens wird auf das Jahr 2027 verwiesen, in dem gegebenenfalls die Erhebung in Bezug auf die Angehörigen nachgebessert werden soll. Warten wir es ab!

2022-04 | Sucht-Hilfe | Broschüre

broschüre sucht-hilfe

Mir wurde von einer empörten Fachkraft der Jugendhilfe eine Broschüre einer Sucht- und Jugendhilfestelle in L. zugespielt. In dem "Ratgeber zur Aufklärung und Vorbeugung" (IV/22) gibt es auch einen Abschnitt zu "Sucht und Familie". Ich möchte Ihnen aus dem Text zitieren: "Aber wie sollen Angehörige reagieren? ... und sicher geht es Suchtkranken nicht darum, die Familie mit ihrer Sucht zu verletzen. Deshalb sollten Angehörige sich zunächst ausführlich über Suchterkrankungen, deren Ursachen und Auswirkungen informieren... Umso wichtiger ist es, die Beziehung jetzt nicht zusätzlich durch Vorwürfe, persönliche Kritik, Nörgeleien oder Beschimpfungen zu belasten... Ruhe und Verständnis mögen zwar schwierig sein, sind jedoch wesentlich, wenn Angehörige die Suchtprobleme thematisieren wollen... Eine solche belastete Atmosphäre erzeugt Stress und den werden die Suchtkranken wahrscheinlich in einer Flucht in die Sucht zu kompensieren versuchen... Wenn Suchtkranke sich öffnen und über ihre Erkrankung sprechen, sollten Angehörige sie nicht unterbrechen... Wer Suchtkranken helfen möchte, sollte stets konsequent sein, Grenzen ziehen und Vorbild sein."

Meinen die KollegInnen in L. ernsthaft, dass Angehörige, die ständig Abwertungen, Beschimpfungen, Beschuldigungen und Beschämungen ausgesetzt sind, Ruhe und Verständnis aufbringen sollen? Sollen sich Angehörige, wenn der Suchtkranke mal wieder die Haushaltskasse geplündert hat und kein Geld mehr für Essen da ist, zunächst einmal ausführlich über Suchterkrankungen und deren Auswirkungen informieren? Sollen Angehörige, nachdem sie psychisch oder physisch misshandelt wurden, nicht verletzt sein und den Suchtkranken nicht unterbrechen, wenn er sich öffnet und über seine Krankheit spricht? Und sollen Angehörige, die tagtäglich die Folgen der Sucht ausbaden und mit der belasteten Situation überfordert sind, den Stress verbergen, damit der Suchtkranke sich nicht in den Konsum flüchtet?

Die Broschüre löst bei mir ungläubige Sprachlosigkeit aus. Doch mir ist dazu eine Aussage einer Klientin eingefallen. Sie kommt aus einer Suchtfamilie, ist selber Sozialarbeiterin und hat ihre vielfältige Erfahrungen mit Beratungsstellen, Krisendiensten und Seelsorge wie folgt zusammengefasst: "Eigentlich suche ich jemanden, der mir einfach zuhört und Verständnis hat. Und dann geben mir die Kollegen oft dort Ratschläge, die ich nicht brauchen kann. An den Ratschlägen merke ich, dass sie nicht wirklich zuhören und keine Ahnung haben. Es erinnert mich an meine Familie. Die sagen mir auch immer, was ich denken, fühlen und tun soll. Aber keiner hört mir zu, keiner sieht mich."

Impuls: Es wäre eine Möglichkeit, gemeinsam mit geeigneten Kooperationspartnern eine angehörigenzentrierte Broschüre herauszugeben.

2022-02 | Drogenpolitik

logo drogenbeauftragter

Am 11.02.2022, zwei Tage vor Beginn der Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien, hat sich der neue Drogenbeauftrage der Bundesregierung, Burkhard Blienert, in einem Interview mit der WELT zu Wort gemeldet. Wohlgemerkt äußert er sich nicht zur Aktionswoche, vielmehr fordert er eine Neuausrichtung der Drogenpolitik. In seinen Antworten kommt die Angehörigenproblematik nicht vor. Nachstehend zwei Zitate zu den zentralen Aussagen des Interviews: "Was wir brauchen, ist einen neuen gesellschaftlichen Umgang mit Drogenkonsum insgesamt. Wir müssen die Menschen unterstützen und ihnen helfen. Das steht für mich an allererster Stelle." und "Im Mittelpunkt sollte die Gesundheit stehen, nicht das Strafrecht. Drogenkonsumierende sollten nicht stigmatisiert werden, sondern Gehör und Akzeptanz finden." (» Interview)

Ich verstehe schon, dass Blienert seine Worte ermutigend und entstigmatisierend meint. Eine Neuausrichtung der Drogenpolitik kann ich nicht erkennen. Er setzt nur fort, was die Vorgängerinnen schon verfolgt haben. Allerdings ist die Wortwahl aus Angehörigenperspektive mehr als unglücklich zu bewerten. Aus Sicht der Angehörigen wird Folgendes nahegelegt: Drogenabhängige, die gewohnheitsmäßig täuschen, manipulieren, abwerten, beschuldigen und beschämen sowie nicht selten auch betrügen, klauen, misshandeln und missbrauchen, sollen gesellschaftlich "Gehör und Akzeptanz finden". Meint Blienert, dass wir das unsoziale und deviante Tun von Suchtkranken akzeptieren sollen? Selbstverständlich meint er dies nicht, aber er sagt es. Ein klassischer Freudscher Versprecher? Mitnichten! Das Gesagte spiegelt die längst überholte gesellschaftliche Schieflage wieder, dass die - allzu häufig suchtkranken - Täter alle Aufmerksamkeit und Hilfe erhalten und die Opfer - im Fall von Sucht v.a. Kinder, Partnerinnen und Eltern - vergessen werden.

Die offizielle Website des Drogenbeauftragten, wie ich recherchiert habe, spiegelt diese Missachtung der Angehörigen ebenfalls wieder. Auch diesbezüglich setzt Blienert die Tradition des Hauses fort. Aus Angehörigensicht und vor dem Hintergrund der aktuell stattfindenden COA-Aktionswoche hat der Drogenbeauftragte einen bedauerlichen Fehlstart ins neue Amt hingelegt. Schade auch, die Chance auf einen echten Neuanfang ist verpasst!

2022-02 | COA-Aktionswoche

Unter dem Motto "Wir brauchen Verlässlichkeit!" findet vom 13. bis 19. Februar 2022 die 13. bundesweite Aktionswoche für Kinder aus suchtbelasteten Familien statt. Organisiert wird die Aktionswoche von den beiden Vereinen NACOA Deutschland und Such(t)- und Wendepunkt e.V. In zahlreichen Veranstaltungen in ganz Deutschland werden wieder Einrichtungen, die mit betroffenen Kindern und Jugendlichen arbeiten, auf die leidvolle Situation der Betroffenen und die mangelhafte Versorgung durch die Hilfesysteme in Deutschland hinweisen - gerade auch in Zeiten der Pandemie.

NACOA lädt unter anderem zum Auftakt der Aktionswoche für den 11. Februar von 10:00 bis 11:30 Uhr zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion mit gesundheits- und drogenpolitischen ExpertInnen von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ein. Die Veranstaltung findet kostenfrei online per ZOOM statt (» Veranstaltung). Die Interessenvertretung für Kinder aus suchtbelasteten Familien hebt gesundheitspolitisch hervor: "Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien kennen leider in ihrem Alltag die mangelhafte Verlässlichkeit von Verantwortlichen. Die Einhaltung von Verlässlichkeit ist ein hohes Gebot und deshalb sind sicher finanzierte Hilfs- und Beratungsangebote für diese hochverletzliche Gruppe so wichtig."

» Pressemitteilung
» Website Aktionswoche

2021-11 | Selbsthilfetag OWL

Am Samstag den 13.11. geht die Selbsthilfe OWL mit einem gemeinsamen Aktionstag online und zeigt mit zahlreichen Veranstaltungsangeboten was sie drauf hat und was in ihr steckt. Unter dem Motto "Ohne Wir Läuft nix!" können Interessierte einzelne Veranstaltungen wie Vorträge, Workshops und Gesprächsrunden zu unterschiedlichen Themen der Selbsthilfe besuchen. Anmeldungen sind bis zum 07.11. möglich.

Mein Beitrag lautet: "Angehörige im Sog der Sucht" und behandelt Aspekte einer Selbsthilfe von und für Angehörige. Beim Sinnieren, was ich in dem Vortrag inhaltlich herüberbringen will, kam mir die Idee, diese Website mit einem Konzept für angehörigenzentrierte Selbsthilfe anzureichern. Nach Absprache mit den Veranstaltern habe ich das Honorar für den Vortrag an NACOA gespendet.

» Flyer
» Konzept Selbsthilfe

2021-11 | Fortbildung

stempel

Am letzten Wochenende im Oktober habe ich die erste zweitägige Fortbildung in "Angehörigenzenrierter Beratung/Therapie" in Altenkirchen durchgeführt. Diese fand in Kooperation mit dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung in Rheinland-Pfalz und der Diakonie Altenkirchen statt. Die Fortbildung basierte auf dem Fachbuch "Die langen Schatten der Sucht" (Flassbeck & Barth, 2020). Inhalte waren Anamnese, Analyse, Diagnostik und Behandlung von erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien und anderen betroffenen Angehörigen. Die Teilnehmergruppe bestand vor allem aus in Beratung und Prävention tätigen SozialarbeiterInnen mit zum Teil vielen Jahren Erfahrung in der Arbeit mit Angehörigen.

Es ergab sich ein anregender Spannungsbogen zwischen den konkreten Erfahrungen und Fragen, die die TeilnehmerInnen aus ihrem Berufsalltag und auch Privatleben mitbrachten, anwendungsbezogenen Übungen mit Selbsterfahrungesanteilen und der Vermittlung von methodischen Wissensinhalten, Kompetenzen und Strategien. Das einhellige Resüme der TeilnehmerInnen und mir war, dass wir noch ein bis zwei Tage mehr für die Supervision konkreter Fälle gebraucht hätten. Mein Ziel ist es, eine viertägige, zertifizierte Fortbildung für Präventionskräfte, Suchtberater/-therapeuten und Psychotherapeuten zu etablieren, die Qualitätsstandards in der Arbeit mit Angehörigen setzt.

2021-10 | Deutschlandradio | Plus Eins

deutschlandfunk

Utz Dräger vom Deutschlandfunk im Gespräch mit Plus Eins Autorin Sophie Rebmann, die die Geschichte von Emilia erzählt. Titel des Beitrags: Flucht vor alkoholkranken Eltern, "Und dann öffnete sich die Welt für mich".

Aus dem Beitrag (Plus Eins, 22.10.2021): "Emilia wächst mit einem alkoholkranken, gewalttätigen Vater auf. Als auch die Mutter zu trinken beginnt, ist sie auf sich allein gestellt. Emilia will ihr Elternhaus hinter sich lassen, aber kann sich nur schwer lösen. Doch irgendwann gelingt es... Bei Plus Eins erzählt Sophie Rebmann, wie Emilia es schafft, sich in einem langwierigen Prozess endlich vom Schatten der Eltern zu befreien. Es ist eine Geschichte über die Flucht aus den Fesseln der Kindheit und den starken Überlebenswillen einer Frau."

Es wird mit viel Sensibilität und liebevollen Verständnis die "normale", schreckliche Geschichte eines Kindes aus einer Suchtfamilie erzählt, wie sie Millionen Kinder aktuell in Deutschland erfahren. Unbedingt hörenswert, doch nichts für schwache Nerven!

» Podcast

2021-10 | Youtube-Kanal

NACOA Deutschland hat im Frühjahr einen Youtube-Kanal eingerichtet. Der Zeitzeichen-Redakteur Stephan Kosch und die Reporterin und Autorin Christina Rubarth führen mit Betroffenen und Experten Lunchtime-Interviews durch. Jede Woche gibt es ein neues Gespräch rund um den Themenbereich der suchtbelasteten Familie. Beispiele aus den Interviews: "Hilfe bei Verdacht auf Gewalt gegen Kinder - Interview mit der »Medizinischen Kinderschutzhotline«, "»Mit der Axt hinter uns hergerannt« - Interview mit Christina, Tochter eines alkoholkranken Vaters", "Die Mutter hinter der Tür - Interview mit der Sozialarbeiterin und Buchautorin Mira Galle".

» YouTube-Kanal NACOA

2021-10 | Lied | Bodo Rulf

illustration streit

Bodo Rulf ist pensionierter Suchttherapeut und schreibt Lieder und Gedichte zum Themenkomplex Sucht, Schuld und Sehnsucht. Seine Texte sind aufrichtig, schonungslos und doch liebevoll. Ich nutze sein Gedicht "Das elfte Gebot" gerne in der Psychotherapie, wenn es darum geht, das deformierte, selbstunwerte Denken von traumatisierten erwachsenen Kinder aus Suchtfamilien und anderen Angehörigen behutsam in Frage zu stellen. Eine Kostprobe daraus: "Ich glaube daß es wichtig ist, zu mir zu halten und mich anzunehmen, auch und gerade dann, wenn ich mich absolut nicht leiden kann." (Rulf, B. (1992). Das elfte Gebot. Remscheid.) Bodo Rulf hat den ungesehenen Kindern ein Lied gewidmet und freundlicherweise Co-ABHAENGIG.de zum Veröffentlichen zugesendet: "Die im Dunkeln sieht man nicht". - Ganz herzlichen Dank dafür!

» Liedtext

2021-10 | Website

dreckige füße

In letzter Zeit habe ich einige Angehörige von psychisch kranken Bezugspersonen in der Therapie aufgenommen, vorwiegend erwachsene Kinder. Darüber bin ich mal wieder an die Grenze von Co-ABHAENGIG.de erinnert worden, sich ausschließlich auf die Angehörigenproblematik der Sucht zu konzentrieren. Angehörige und vor allem Kinder von psychisch kranken Personen sind ebenfalls belastet und können darüber Schaden nehmen.

Warum fokussiert diese Seite auf das Angehörigenproblem der Sucht? Abhängigkeitserkrankungen sind psychische Störungen. Darüber hinaus hat Suchtkonsum spezifische negative Begleit- und Folgeerscheinungen und soziale Auswirkungen. Sucht verschlimmert und aufrechterhält die zugrunde liegende psychische Störung. Hinzu kommen die suchttypischen Auffälligkeiten der Verantwortungsdelegation, der Uneinsichtigkeit, der Tabuisierung, der Beschämung und Beschuldigung des Umfelds und der rauschbedingten Enthemmung von Übergriffigkeiten. Nach meinen Erfahrungen hat Sucht deshalb besonders zerstörerische Auswirkungen auf das soziale Umfeld. Bei der Einrichtung dieser Website musste ich mich inhaltlich begrenzen, damit die Seite nicht ausufert, doch glücklich bin ich mit der Entscheidung nicht. Co-ABHAENGIG.de behandelt implizit auch die übergeordnete Problematik von Angehörigen psychisch kranker Personen.

2021-09 | Kommunikationsplattform

Die Kommunikationsplattform COA.KOM ist online. Die Plattform wird von NACOA Deutschland betrieben, gefördert durch das Bundesminsterium für Familien, Frauen und Jugend. Auf der Startseite wird erläutert: "COA.KOM ist eine Kommunikationsplattform rund um die Arbeit mit Kindern aus suchtbelasteten Familien, auf der sich Fachkräfte aus ganz Deutschland miteinander vernetzen und ihren Erfahrungsschatz - in einem geschützten Rahmen - teilen können."

Nachtrag 29.11.2021: Die Idee zur bundesweiten Vernetzung finde ich großartig. Zunächst war die Plattform ausschließlich für Fachkräfte gedacht, die mit "Kindern suchtbelasteter Eltern" arbeiten. Das ist von mir und anderen kritisiert worden. Mittlerweile haben die Verantwortlichen reagiert und nachgebessert. Auch die Problematik von erwachsenen Kindern und anderen Angehörigen findet nun Berücksichtigung. Das finde ich gut. In der korrigierten Form wird die Plattform der Angehörigenproblematik ganzheitlich gerecht.

» Website COA.KOM

2021-09 | Bundestagswahl

bundestag

Am 26.09. ist Bundestagswahl 2021. Die Wahl ist in einer Demokratie ein hohes Gut. Durch die Wahl können wir Bürger mitbestimmen. Die Angehörigenproblematik ist politisch. Diese Website pflege ich wegen der Ungerechtigkeit, dass suchtkranke Menschen in unserem Land nahezu grenzenlose Hilfe erhalten, während die betroffenen Angehörigen und suchttraumatisierten Kinder durch die Gesellschaft und das Hilfesystem vergessen werden.

Meine Wahl am 26.09. will ich davon bestimmen lassen, inwieweit Parteien in der pandämischen Weltkrise die Rechte von Kindern und kranken Menschen hochgehalten haben. Ich denke dabei vor allem an noch kleine und schon große Menschen, die familiär durch Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch betroffen sind. Meine Stimme soll diejenige Partei erhalten, die sich darin ausgezeichnet hat, sowohl notwendige Krisen-Maßnahmen als auch den Schutz und das Wohl dieser geschädigte und benachteiligten Menschen pragmatisch abzuwägen.

2021-08 | Roman | Rezension

Nicht ganz durch Zufall hat mich die Neuerscheinung Streulicht von Deniz Ohde gefunden. Eine Freundin wies mich darauf hin: "Es könnte dich interessieren. Es hat etwas mit deiner Arbeit zu tun." Schon lange habe ich keine Buch mehr in einem Rutsch verschlungen. Vom ersten bis zum letzten Satz hat es mich nicht losgelassen.

Zur Geschichte: Eine namenlose Ich-Erzählerin schildert ihre Kindheit und Jugend. Die Eltern sind türkische Einwanderer. Der Vater arbeitet, säuft - wie auch der Großvater - und ist kaufsüchtig, die Mutter opfert sich für andere auf und beide Eltern meiden misstrauisch und ängstlich jeglichen sozialen Kontakt. Lehrer und andere Erwachsene sehen das Kind nicht oder werten es ab. Auch andere Kinder lehnen das Kind als Ausländerin ab und die beiden einzigen Freunde, die es hat, sind zu sehr mit ihrem behüteten und normierten Leben beschäftigt, um es zu verstehen. Niemand wendet sich dem Kind zu oder traut ihm etwas zu. Es bleibt gesichtslos, ist stumm vor Angst und Scham, passt sich an, um nicht aufzufallen, und leidet still.

Als Psychologe könnte ich das Buch analysieren und kategorisieren. Ich könnte etwas Kluges über komplexe Traumatisierung, Dissoziation und Selbstwertstörung schreiben. Doch genau gegen dieses Unrecht, etikettiert und in Schubladen gesteckt zu werden, verwehrt sich die Erzählerin zu Recht. Ihre Schilderungen geben einen ungeschminkten, abgrundtiefen Einblick in das Innenleben eines Menschen, der nicht gesehen und nicht gehört und dem kein Raum gegeben wird, selber herauszufinden, wer er ist, was er denkt und fühlt und wie er sich im Leben verwirklichen will. Die Texte sind ein befreiender Aufschrei und eine selbstentfaltende Anklage eines mundtot gemachten Menschen. Das Buch will nicht kommentiert werden, es will gehört werden.

So soll die Protagonistin das letzte Wort haben (S. 64 - 66): "Die geringsten Änderungen an der Ausrichtung der Möbel richtig zu deuten, konnte für mich überlebenswichtig sein... Wenn die Wohnzimmertür geschlossen ist, dann beweg dich leise. Die Glassplitter waren nur die äußersten Zeichen, wenn diese auftraten, dann konnte es jeder andere auch sehen, aber es ging um das Davor. Es ging darum, sich besonders geschickt zu verhalten, bevor es losbrach, und sich aus der Schusslinie zu ziehen... Und allem gemein war diese Stille, für die mir ein sechstes Sinnesorgan wuchs... ich bemühte mich, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen, damit niemand mich zur Rede stellen würde."

» Zum Buch bei Suhrkamp

2021-07 | Suchtmittelbedingte Krisen

notfallnummer 112

In der letzten Zeit haben mir etliche Angehörige besorgt von suchtmittelbedingten psychischen und physischen Krisen und Notzuständen von ihren suchtkranken Eltern, Partnern oder Kindern berichtet. Typisch ist es, dass Angehörige aus Ängsten, Scham und Schuldgefühlen - niemand darf etwas mitbekommen - versuchen, die Situation eigenständig zu bewältigen. So überfordern sie sich und riskieren noch Schlimmeres.

Folgende Handlungsleitlinien möchte ich Ihnen geben:

  • In seelischen und körperlichen Notfällen (ernsthafte Verletzungen, akute Suizidalität, Intoxikation, schwere Entzugssymptomatik) zögern Sie bitte nicht, umgehend den Notarzt zu rufen.

  • Bei aggressiven, fremdgefährdenden Verhaltensweisen des Suchtkranken wenden Sie sich an die Polizei.

  • Bei seelischen Krisen ziehen Sie einen Krisendienst oder Sozialpsychiatrischen Dienst hinzu, damit dieser die Situation einordnet und ggfs. notwendige Schritte einleitet. Diese Dienste gibt es bundesweit in jedem Kreis bzw. in allen kreisfreien Städten.

  • Bei dementen, psychotischen und anderen ungünstigen Entwicklungen sprechen Sie mit einem Arzt über eine etwaige rechtliche Betreuung durch einen Berufsbetreuuer. Auch die Unterbringung in einem geeigneten Betreuten Wohnen kann die Situation für alle Beteiligten entschärfen.

  • Falls Sie unsicher sind, wie Sie in Notfällen und Krisen reagieren sollen, lassen Sie sich durch eine Suchtberatungsstelle oder einen Sozialpsychiatrischen Dienst beraten.

  • Notfälle gehen an niemanden spurlos vorbei. Nehmen Sie sich danach eine Auszeit und entlasten Sie sich durch Gespräche mit vertrauten Personen, bis sie wieder im Lot sind. Ist Ihr Leidensdruck als Folge der Belastungen übermäßig beeinträchtigend, kann eine ambulante Psychotherapie hilfreich sein.

2021-06 | Landesdrogenkonferenz

logo landesamt soziales, jugend und versorgung rheinland-pfalz

Letztes Jahr sind alle geplanten Veranstaltungen Corona-bedingt ausgefallen. Ich bin froh, dass mittlerweile dank der digitalen Entwicklungen wieder Veranstaltungen möglich sind. Am 07./08.06.2021 findet die Landesdrogenkonferenz mit dem Titel "Entwicklung und Herausforderung" in Rheinland-Pfalz statt. Ausrichter sind das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie und das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung. Gleich zwei Beiträge beschäftigen sich mit der Angelegenheit der Angehörigen bzw. Kinder von Suchtkranken: Ein Workshop zur Situation von Kindern psychisch und suchtkranker Eltern und mein Vortrag mit dem Titel "Betroffen und beteiligt - Angehörige im zerstörerischen Sog der Sucht". In den letzten Jahren war ich oft in Rheinland-Pfalz. Dort gibt es in der Jugendhilfe, Suchtprävention und auch Gesundheitspolitik ein großes Bewusstsein für den Bedarf der Angehörigen.

» Einladung

2021-05 | Artikel & Rezension

logo für kinder

Frau Dr. Barnowski-Geiser, Autorin des vorzüglichen Ratgebers "Vater, Mutter, Sucht", hat eine Kombination aus Artikel über Kinder aus Suchtfamilien und Rezension zu unserem Buch "Die langen Schatten der Sucht" auf der Website der Stiftung Zu-Wendung für Kinder veröffentlicht. Der Artikel ist sehr informativ und zeigt auf, dass die Arbeit mit suchtbelasteten Kindern und Jugendlichen sowie die Therapie mit erwachsenen Betroffenen methodisch dieselbe ist. Lesenswert!

» Artikel

2021-05 | NACOA | Projekt

nacoa projekt vernetzung

Das 2020 gestartete Projekt "Bundesweite Vernetzung von Akteuren des Hilfesystems für Kinder suchtkranker Eltern" wird von NACOA Deutschland e.V. durchgeführt und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für drei Jahre gefördert. Ziel ist der bundesweite Aufbau von Kommunikationsstrukturen zwischen Fachkräften der Suchthilfe, Jugendhilfe und des Gesundheitswesens. Für den interdisziplinären Austausch aller Akteure, die mit suchtbelasteten Familien insbesondere den Kindern suchtkranker Eltern zusammenarbeiten, soll eine eine Kommunikationsplattform aufgebaut werden. Diese soll an die Website von NACOA angegliedert werden und vor allem eine interaktive onlinebasierte Übersicht aller Angebote sowie begleitenden Veranstaltungen bieten.

» zur Projektseite

2021-04 | Lockdown | Kommentar

Aktuell werde ich oft gefragt, ob die Corona-Krise Auswirkungen für Angehörige hat. Ich möchte anhand der Situation der Kinder aus Suchtfamilien zwei Antworten geben:

1. Ja, die Situation hat sich zugespitzt. In den Kindergarten, zur Schule, zur Musikschule oder in den Verein zu gehen, bedeutet für die Kinder aus Suchtfamilien, der chaotischen, bedrückenden, konflikthaften, feindseligen und übergriffigen Familiensituation für ein paar Stunden am Tag zu entkommen und ein Stück Normalität zu erfahren. Durch den Lockdown ist den Kindern diese Möglichkeit genommen. Es kommt hinzu, dass die suchtkranken Eltern durch Home Office oder Kurzarbeit ebenfalls zuhause sind, mehr konsumieren, sich noch enthemmter verhalten und es noch mehr Streit gibt. Die Kinder sind der Situation rund um die Uhr schutzlos ausgeliefert. Erzieher und Lehrer haben mir berichtet, dass es besonders schwierig sei, Kontakt zu den Kindern aus Problemfamilien aufzunehmen und diese in die Notbetreuung zu holen.

2. Nein, die Situation war schon vor der Pandemie schlimm. Die Kinder hatten schon zuvor Stress, sie wurden vernachlässigt und wurden Opfer von Übergriffigkeiten. Schon immer haben andere - Familie, Nachbarn, Erzieher, Lehrer, Sozialarbeiter, Ärzte etc. - weggeschaut und die Kinder allein gelassen. Und ebenso kehrt die Fachwelt, die Gesundheitspolitik, die Medien und die Gesellschaft das Thema schon seit Jahrzehnten unter den Teppich. Daran hat sich nichts geändert.

Macht es einen Unterschied für ein Kind, ...

  • ob der Vater abends betrunken auf dem Sofa einschläft oder schon mittags berauscht am Küchentisch zusammensackt?

  • wenn sich die überforderte Mutter bei dem Kind drei- oder fünfmal in der Woche über die Eheprobleme mit dem suchtkranken Mann ausheult?

  • ob der versoffene Vater dem Kind einmal oder zweimal am Tag vorwirft, Schuld daran zu sein, dass es ihm schlecht geht, und ob der Vater das Kind statt zweimal sogar dreimal in der Woche prügelt?

  • ob die psychisch labile Mutter das Kind zwei- oder viermal in der Woche dafür lobt, wie groß und stark es ist und die Mutter ohne es nicht klar käme?

  • ob es sich zwar tagsüber in der Klasse aufhält, sich dort mithin fremd und allein fühlt oder es zurückgezogen und unsichtbar auf dem Zimmer am Online-Unterricht teilnimmt?

2021-02 | Roman | Rezension

Shuggie Bain ist ein Roman über das Aufwachsen von drei Kindern mit einer alkoholkranken Mutter. Es ist gleichwohl das Portrait einer Alkoholikerin, eine Coming-of-Age-Geschichte ihres jüngsten Sohns Shuggie als auch eine Klassen- und Arbeiterstudie in den 80ern und Anfang der 90er in Glasgow auf dem gesellschaftliche Hintergrund des Thatcherism. Die klassische Industrie stirbt und Depression, Arbeitslosigkeit und Armut macht sich im Arbeitermilieu breit. Die Mutter Agnes verliert sich immer mehr in Tagträumen von einem besseren Leben und im Suff. Der Vater Shug, Taxifahrer, verspricht ein besseres Leben, geht notorisch fremd und verlässt schließlich die Familie. Die Kinder kümmern sich erfolglos um die Mutter. Eins nach dem anderen sucht das Weite, um das eigene Leben zu retten. Shuggie hält als Jüngster und Lieblingssohn am längsten an der Hoffnung fest, die Mutter retten zu können. Doch er hat eigene Probleme als Heranwachsender, der von allen vermittelt bekommt, nicht normal zu sein, weil er als Junge Fußball nicht mag und lieber mit Puppen spielt.

Der junge Autor Douglas Stuart hat mit seinem Debut-Roman den renommierten Booker Prize gewonnen. Es ist in einer wunderbaren Mischung aus Gossen-Vokabular sowie bild- und symbolmächtigem Sprachstil formuliert, der die trostlosen sozialen, familiären und persönlichen Zusammenhänge hautnah erfahrbar macht und den Figuren gleichzeitig Stolz und Würde lässt. In der detailreichen Brutalität und Hässlichkeit der Schilderungen versteckt sich etwas respektvoll Sanftes und Menschliches. So realistisch abstoßend die Geschehnisse sind, ist man als Leser von den Schicksalsschlägen und der inneren Not der Protagonisten auch mitfühlend ergriffen. Es ist deswegen kein Buch, welches man in einem Rutsch lesen kann. Nach jedem Kapitel braucht es eine Pause, um Abstand zu nehmen, zu verarbeiten und einen neuen Zugang zum Weiterlesen zu finden.

Die Erfahrungen von Leek, Catherine und Shuggie in Stuarts Werk ähneln, trotz des anderen geschichtlichen Kontextes, verblüffend den Erzählungen meiner Klienten in der Therapie. Dieses intime Detailwissen ist nicht verwunderlich, weil der Autor im Roman autobiografische Erlebnisse mit seiner alkoholkranken Mutter verarbeitet. Das Buch ist nichts für Zartbesaitete. Auch Betroffenen, die ihr Trauma noch nicht bewältigt haben, kann ich es nicht empfehlen. Ansonsten ist das Buch eine kleine Kostbarkeit, weil es Einblicke in menschlich Abgründe bietet, welche kein Ratgeber oder Fachbuch liefern kann und ich bislang nur in dem Film "Ein Teil von uns" finden konnte.

» Buch und Autor

2021-02 | COA-Aktionswoche | Ankündigung & Kritik

Vom 14. bis 20. Februar 2021 wird die bundesweite Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien unter dem Motto "Vergessenen Kindern eine Stimme geben" stattfinden. Sie wird von NACOA Deutschland und Such(t)- und Wendepunkt Hamburg koordiniert. Alle Informationen zur Veranstaltung und Anregungen zum Mitmachen finden sich auf der Website der Aktionswoche. Dort können auch eigene Veranstaltungen angekündigt werden. Dieses Jahr werde ich aufgrund meiner Schwerpunktsetzung auf Aus- und Fortbildung (s.u.) nicht mit einer eigenen Aktion an der Woche teilnehmen.

Einen kritischen Gedanken möchte ich hier indes aufführen: Wie in den Jahren zuvor auch konzentriert sich die Ankündigung der Aktion in Bild und Inhalt allein auf die aktuell ca. drei Mio. Kinder in Suchtfamilien in Deutschland. Aus den betroffene Kindern werden bekanntermaßen Erwachsene - die Zahl wird auf fünf bis sechs Mio. geschätzt -, die ein beträchtliches, psychosoziales Risiko haben, ein Leben lang unter den Folgen ihrer biografischen Last zu leiden. Darüber hinaus ist hinlänglich bekannt, dass Mädchen aus Suchtfamilien später überdurchschnittlich häufig suchtkranke Partner suchen und mit diesen wiederum Eltern von sucht- und co-abhängig gefährdeten Kindern werden.

Das abhängige System aus Sucht und Co-Abhängigkeit ist nur unzureichend zu verstehen und zu behandeln, wenn der transgenerative Teufelskreis nicht beachtet wird (» Transmission). Die Problematik der suchtbelasteten erwachsenen Kinder, Partner und Eltern wird bedauerlicherweise von den Veranstaltern der Aktionswoche nicht berücksichtigt. Es ist in meinen Augen ein Widerspruch, den "vergessenen Kindern" öffentliche Beachtung zukommen zu lassen, was an sich lobenswert ist, dabei aber die erwachsenen Angehörigen zu vergessen. Unabhängig von meiner Kritik und trotz der coronabedingten Einschränkungen wünsche ich der COA-Aktionswoche ganz viel Teilnahme, Aufmerksamkeit und Erfolg.

» Website COA-Aktionswoche

2020-11 | Forschungsprojekt

Im Rahmen eines Forschungsprojekts untersucht das Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ), wie die Unterstützung suchtbelasteter Familien durch eine engere Vernetzung von Sucht- und Jugendhilfe verbessert werden kann. Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert. Im Juni 2020 wurde der zweite Zwischenbericht des Projektes veröffentlich. In diesem wird suchtkranken Eltern breiter Raum gewährt, über ihre Erfahrungen mit den Hilfesystemen zu reflektieren. Anhand der authentischen Schilderungen der Betroffenen werden die Stärken und Schwächen in der Vernetzung konkret benannt. So gibt der Bericht tiefe Einblicke ins System und legt die Finger direkt in die Wunden.

Doch stellt sich mir die Frage, warum vom BMG schon wieder eine neue Studie aufgelegt wird? Die aufgezeigten Defizite sind seit drei Jahrzehnten wohl bekannt und seitdem verspricht eine Drogenbeauftragte der Bundesregierung nach der anderen Besserung. Nüchtern betrachtet ist vorherzusagen, dass auch diese Studienergebnisse folgenlos in den Schubladen des Bundesministeriums verschwinden werden.

» Zwischenbericht herunterladen

2020-11 | Rezension

Im August ist das Buch "Die langen Schatten der Sucht" von der Kollegin Judith Barth und mir erschienen, welches über Anamnese, Diagnostik, Analyse und die Behandlung von Traumafolgestörungen als Folge einer suchtbelasteten Kindheit handelt. Jetzt ist auf Socialnet.de die erste Rezension erschienen. Sie ist von Anja Schoop, Diplom Sozialpädagogin in der Fachstelle Sucht des Diakonischen Werks Herford, verfasst worden. Die Rezensentin ist dort für die Angehörigenberatung zuständig.

» Rezension

2020-11 | Website

Es gibt eine neue, spannende Website: Wissensnetzwerk Kinder in suchtbelasteten Familien. Die Seite wird gerade aufgebaut und richtet sich an Fachleute und Interessierte. Herausgeber ist die Landeskoordinierungsstelle Frauen und Sucht NRW, BELLA DONNA mit Sitz in Essen. Die Seite ist ansprechend und intelligent gestaltet und verspricht, sehr informativ zu werden. Schauen Sie mal drauf!

» Website w-kis.de

2020-10 | EigenArts

Das Duo EigenArts hat eine CD mit dem Titel "dennoch" herausgebracht. Der Song Albatros ist dem Schicksal von Kindern aus Suchtfamilien gewidmet. Kostproben des Textes: "Nicht reden, nicht fühlen, niemandem traun. Es ist doch nichts... Mama und Papa, auf Alkohol formatiert. Es ist doch nichts... Kindergefühle, wie Müll kompostiert. Es ist doch nichts. - Albatros, nimm mich mit auf deinen Schwingen. Flieg mich hinauf aus grauen Mauern in warmen Sonnenschein." Auf der Blogseite Jetzt.Besser.Leben von Frau Dr. Barnowski-Geiser kann der Song angehört werden.

» Song hören

2020-09 | 3sat

filmplakat trinkerkinder

Eine Klientin, erwachsenes Kind aus einer Suchtfamilie, wies mich darauf hin: Die Schweizer Dokumentation "Trinkerkinder, die langen Schatten alkoholkranker Eltern" kann auf der Website des SRF aufgerufen werden. Ausgehend von der persönlichen Geschichte der Autorin Ursula Brunner und anhand verschiedener betroffenen Personen wird das Schicksal und die Not der Betroffenen und ihre Schwierigkeiten und Möglichkeiten, sich zu befreien und ein eigenes Leben aufzubauen, veranschaulicht. Erwachsene und noch jugendliche Betroffene kommen in dem 49-minütigen Beitrag selbst ausgiebig zu Wort, erzählen von ihren tragischen Erfahrungen und den Auswirkungen auf ihr Leben.

Die Kamera bewegt sich im Lebensalltag der Betroffenen und hält doch Abstand. So sind die Ausführungen zwar zugewandt, bleiben aber nüchtern. Diese Sachlichkeit des Films erinnert mich an den dissoziativ gefühlsfernen Selbstschutz der Betroffenen, ihre geichförmig unaufgeregte Stimme und ihre unbewegte Mimik und Gestik, wenn sie in der Therapie über die Schrecknisse der Kindheit erzählen. Dadurch wird die Dokumentation ihrem unprätentiösen Anspruch, über das Thema zu informieren, durchaus gerecht, wie ich finde. Die Klientin gab an, dass der Film "ganz ok" sei, für sie als Betroffene aber keine neuen Erkenntnisse geboten habe.

» Film aufrufen

2020-08 | Fachbuch

Für einen Autor ist es, als wenn Geburtstag und Weihnachten zusammenfallen. Heute am 22.08. ist unser neues Buch: "Die langen Schatten der Sucht", bei Klett-Cotta erschienen. Gestern habe ich die Belegexemplare in der Post gehabt und durfte das Werk in die Hand nehmen. Ein digitales Manuskript hat stets etwas Unwirkliches, ein echtes Buch ist greifbare, erfahrbare Realität. Es hat 346 Seiten und ist dreigeteilt. Im ersten Kapitel werden die typischen Belastungen und Traumata, die Kinder in Suchtfamilien erfahren, systematisch beschrieben. Im zweiten und dritten Kapitel wird die Lerngeschichte des Suchttraumas analysiert und mögliche Traumafolgestörungen im Erwachsenenalter diagnostisch eingeordnet.

Das fünfte Kapitel ist der Hauptteil, in dem unser psychotherapeutisches Behandlungsprogramm: "Reden, fühlen, trauen!", dargestellt wird. In sieben Unterkapitel werden spezifische Aspekte der Therapie des Suchttraumas erläutert, z.B. zur therapeutischen Beziehungsgestaltung, Klärung von Motivation, Bewältigung von Ängsten und Depressionen, Erlebensaktivierung, Emotionsregulation, Traumabewältigung und zur Überwindung (co-)abhängiger Probleme. Alle Darstellungen werden praxisbezogen durch Kasuistiken veranschaulicht. Das Buch richtet sich vornehmlich an Fachleute: Psychotherapeuten, Suchttherapeuten und -berater, Psychologen, Sozialarbeiter oder Ärzte.

» Das Buch bei Klett-Cotta

2020-06 | Zeitzeichen

Zeitzeichen ist das Kulturmagazin der evangelischen Kirche in Deutschland und bietet Essays, Analysen und Nachrichten zu Religion und Gesellschaft. Am ersten Juni kommt das neue Heft zum Schwerpunktthema Sucht. Mein Beitrag dazu ist ein Essay mit dem Titel: "Sprachlos und hilfebedürftig". Die Einleitung zum Text lautet: "Depressionen, Angststörungen und psychosomatische Beschwerden, viele Kinder und Partner von Suchtkranken leiden. Der Bielefelder Psychotherapeut Jens Flassbeck berichtet, warum es für Angehörige so schwierig ist, über ihre Situation zu sprechen. Er fordert eine Erneuerung der Suchthilfe, damit sich diese mit anderen Hilfesystemen besser vernetzen kann." Es freut mich, dass zeitzeichen der Angehörigenproblematik einen angemessenen Raum gibt.

» Website zeitzeichen

2020-02 | COA-Aktionswoche

Vom 09. bis 15.02.2020 findet die bundesweite Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien statt. Ziel der jährlich zum Valentinstag durchgeführten Woche ist es, den vergessenen Kindern eine Stimme zu geben und Öffentlichkeit für die gesellschaftlich tabuisierte Thematik herzustellen. Jeder kann mit Veranstaltungen oder Aktionen beitragen. Die Woche wird von NACOA Deutschland, Such(t)- und Wendepunkt e.V. und Kunst gegen Sucht e.V. koordiniert. Die Aktionswoche hat dieses Jahr einen negativen Beigeschmack. Die "AG Kinder psychisch und suchtkranker Eltern" des Bundestages ist zu keinem konkretes Ergebnis gelangt. Die Vertreter/innen der Bundesministerien in der AG haben sich genau darum herumgedrückt. Der Aufruf zur Aktionswoche ist entsprechend kritisch und kämpferisch ausgefallen:

» Aufruf
» Website

2020-02 | Broschüre

Da im März Abgabetermin für das Manuskript unseres neuen Buchs über die Psychotherapie mit traumatisierten erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien ist und die Zeit vor der Abgabe stressig ist, nehme ich in 2020 leider nicht mit einer eigenen Veranstaltung an der Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien teil. Indirekt bin ich erfreulicherweise dennoch beteiligt. Die Landeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von Rheinland-Pfalz hat zur Aktionswoche eine informative Broschüre zu den komplex traumatisierten "stillen Mädchen" herausgeben, Titel: "Erkennen, erreichen, ermöglichen". Vornehmlich besteht diese aus einer Zusammenfassung eines Impulsreferats, das ich in 2019 auf einem zweitägigen Workshop des Arbeitskreises „Hilfen für Kinder aus suchtbelasteten Familien in Rheinland-Pfalz“ hielt. Der Text basiert auf dem zweiten Kapitels unserer geplanten Publikation. Ich danke der LZG und dem Arbeitskreis für die gelungene Kooperation.

» Broschüre bestellen (Rubrik Kinder aus suchtbelasteten Familien)
» Broschüre herunterladen

2020-02 | Photoetry

Neuerscheinung: Sturm, C. (2019). Sucht vergeben. Berlin: Neopubli.

Das Buch ist das Ergebnis der mutigen und feinfühligen Kooperation der Fotografin Christa Sturm und einer Angehörigengruppe Suchtkranker. Durch die Kombination von Foto und Poesie wird der Angehörigenproblematik bewegend und eindrucksvoll Gesicht und Stimme gegeben. In der Therapie nutze ich die Fotos, um Klienten einen Spiegel vorzuhalten.

» Website der Künstlerin

2019-12 | Deutschlandfunk

Co-abhängige Angehörige haben gewöhnlich ein äußerst gespaltenes Verhältnis zum Gefühl Wut. Es ist gehemmt, wird nicht wahrgenommen und kann nicht ausgedrückt werden. Doch können auch, selten zwar, die Dämme brechen und es kommt zu aggressiven Ausbrüchen, die im Nachhinein Schuldgefühle auslösen und noch stärkere Bemühungen, sich zu kontrollieren. "Wer Wut unterdrückt, kann depressiv werden", ist ein trefflicher und empfehlenswerter Artikel des Deutschlandfunks zu Facetten und Bedeutungen eines lebendigen Emotion, welche wir für Selbstbehauptung und -entfaltung brauchen.

» Artikel

2019-10 | Freundeskreise

Der nebenstehende Artikel wurde im Jahresjournal des Landesverbands der Freundeskreise von NRW veröffentlicht. Der Artikel wie auch die Selbsthilfegruppe sind aus der Zusammenarbeit von dem Vorsitzenden der Gütersloher Selbsthilfe, Günter Philipps, und mir entstanden.

2019-05 | Blaues Kreuz

Am 23.05.2019 war ich vom Blauen Kreuz nach Bad Salzuflen geladen worden, um über komplexe Traumatisierungen von Kindern aus Suchtfamilien zu referieren. Es ist stets eine schwieriges, wie auch lohnenswertes Unterfangen, die schlimmen Erfahrungen der "vergessenen Kinder" und deren Traumafolgestörungen darzustellen und Tabuisierung und Sprachlosigkeit, die der Thematik innewohnen, zu überwinden. Das Publikum war gemischt: Suchthilfe, Jugendhilfe, Selbsthilfe, süchtig Betroffene und Angehörige. Sehr erfreulich und zuversichtlich stimmend nahm ich die Erkenntnis mit nach Hause, dass sich in Bad Salzuflen und Herford in den letzten Jahren ein zugewandtes und positives Bewusstsein und gute Hilfestrukturen in Sucht-, Jugend- und Selbsthilfe in Bezug auf die betroffenen Kinder und Angehörigen entwickelt haben. Herrn Reichert und Herrn Wültner vom Blauen Kreuz danke ich für die Einladung und den spannenden Abend.

2019-04 | Workshop

Am 04. und 05. April nahm ich an einem Workshop in Koblenz zum Arbeitskreis "Hilfen für Kinder aus suchtbelasteten Familien in Rheinland-Pfalz" teil, veranstaltet von der dortigen Landeszentrale für Gesundheitsförderung (LZG). Wir waren eine bunte Mischung aus Fachkräften aus Prävention und Therapie und des LZG sowie Experten aus der Selbsthilfe. Das Thema waren die "stillen Mädchen" aus Suchtfamilien. Es ging um die genderspezifische Fragestellung, wie man diese unsichtbare Betroffenengruppe erkennen und erreichen kann. Ich nenne diese Gruppe auch die "Helferkinder", weil sie sich schon als kleine Kinder rührend um die suchtkranken Eltern und auch den Rest der Familie kümmern. Sie fallen durch frühe Reife und Eigenständigkeit, besondere Leistungen und Verantwortungsbewusstsein auf und werden deshalb durch Prävention und Therapie nicht erreicht. Allzu häufig versteckt sich hinter der auffällig unauffälligen Fassade eine komplexe und behandlungsbedürftige Traumatisierung, die mit viel Mangel, Not und Leid verbunden ist und erst viel später im Leben zu einer posttraumatischen Dekompensation führen kann.

Zur Eröffnung der Veranstaltung hielt ich ein Impulsreferat mit dem Titel: "Erkennen, erreichen, ermöglichen". Danach haben wir zwei Tage konzentriert gearbeitet und als Ergebnis vielfältige Materialien angedacht, um die Betroffenen anzusprechen und die Öffentlichkeit auf sie aufmerksam zu machen. - Eine Zusammenfassung des Vortrags werde ich hier in Kürze zum Herunterladen verlinken. Über die Materialien werde ich berichten, sobald sie fertig sind.

» Zusammenfassung Vortrag

2019-02 | COA-Aktionswoche

Vom 11. bis 16. Februar 2019 fand die bundesweite Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien statt und das Aktionswochen-Team von Berlin zog eine sehr zufriedene Bilanz über die stärkste Beteiligung in der 10-jährigen Geschichte der Woche. Durch 120 Veranstaltungen, 50 Aktionen und 70 gezählte Beiträge in regionalen und überregionalen Medien wurde die Öffentlichkeit für das Thema der "vergessenen Kinder" senibilisieren und über die Notwendigkeit angemessener Hilfen aufgeklärt.

Mein erster Beitrag zur Woche war ein Vortrag mit dem Titel "Angehörige beachten". Die Veranstaltung fand am 15.01. in der Selbsthilfe-Kontaktstelle von Minden-Lübbecke statt. Die geschätzt 60 Besucher waren mehrheitlich Selbstbetroffene. Ich bedanke mich bei Frau Krömker der Drogenberatung und Frau de Vink von der Kontaktstelle für die Einladung.

Für die zweite Veranstaltung zur Aktionswoche hat sich ein einrichtungs- und städteübergreifendes OWL-Bündnis mit dem Kinderschutzbund Bielefeld, der Fachstelle Sucht des Diakonischen Werkes Herford, der AG Suchtselbsthilfe Gütersloh, dem Blauen Kreuz Bad Salzuflen und Hiddenhausen-Eilshausen und dem Lichtwerk Filmtheater Bielefeld gefunden. Der preisgekrönte Film "Die beste aller Welten" wurde am 12.02. im Lichtwerk aufgeführt (» Filmwebsite). Mit 65 Zuschauern war der Filmsaal gut gefüllt. Nach der Vorführung wurde sich im Foyer des Filmhauses in vielen kleinen Gruppen angeregt ausgetauscht. Die beteiligten Einrichtungen waren sich einig, die gelungene Vernetzung in Zukunft zu vertiefen.

Mein persönliches Fazit in zwei Sätzen: 1. Man kann die Kinderproblematik nicht von der sonstigen Angehörigenproblematik trennen. 2. Ohne eindeutigen gesundheitspolitischen Auftrag verbleibt die Angehörigenhilfe im Projektstatus, abhängig von dem Engagement einzelner, und kann sich nicht nachhaltig institutionalisieren.

» COA-Aktionswoche
» Neue Westfälische 08.02.2019

2019-01 | Ratgeber

Es ist für einen Autor wie ein (leicht verspätetes) Weihnachtsgeschenk. Die dritte Auflage des Ratgebers "Ich will mein Leben zurück!" ist gedruckt. Seit nunmehr zwei Jahrzehnten arbeite ich mit Angehörigen und seit fünf Jahren ist es ein Arbeitsschwerpunkt. Deshalb habe ich mir den Ratgeber letztes Jahr gründlich und kritisch vorgenommen. Viel zu verändern, habe ich allerdings nicht gefunden, mit einer Ausnahme, es gibt nun einen neuen Abschnitt "Sich mit der Trauer anfreunden". Dieser handelt von der Bedeutung, das Gefühl der Trauer und die erfahrenen Verletzungen akzeptierend wahrzunehmen und Strategien zu entwickeln, Trost anzunehmen und - vor allem - sich selbst zu trösten. Alle, die eine ältere Auflage haben, können den Abschnitt als PDF herunterladen.

» PDF "Sich mit der Trauer anfreunden"

2018-07 | Praxiseröffnung

In eigener Sache: Co-ABHAENGIG.de und die Angehörigensache sind derzeit eher hintangestellt, weil ich im Sommer in die freiberufliche Praxistätigkeit gestartet bin. Kurzfristig ist dies mit viel Aufwand verbunden. Langfristig verspreche ich mir deutlich mehr Spielräume, mich in der Angehörigenthematik zu engagieren. Die psychotherapeutische Arbeit mit Angehörigen wird mein Praxisschwerpunkt sein und ich freue mich, dass ich schon neue Kooperationspartner in der Sache gefunden habe und einige Betroffene in die Therapie aufnehmen konnte. Vor allem ist mir aufgefallen, dass in den letzten Jahren ein Wandel stattgefunden hat und die Sucht- und Drogenberatungen das Angehörigenthema viel stärker präsent haben und in ihre Angebotsstrukturen einarbeiten. Das ist gut so.

» Website Praxis

2018-06 | Neuerscheinung

Finnja Stauff hat aus ihrer eigenen Erfahrung ein Selbsthilfebuch für erwachsene Kinder von Alkoholikern veröffentlich: Durch Bewusstsein zur Selbstliebe. Bei mir hat das Werk zwiespältige Gefühle hinterlassen. Einerseits ist das Buch inhaltlich klug geschrieben und birgt differenzierte Innenansichten, welche den Betroffenen einen fokussierenden Spiegel ihrer vielschichtigen leidvollen und selbsterzeugten Problematik vorhält. Andererseits ist das Buch in einem simplizierenden Duktus des Heilsversprechens verfasst: "Du musst nur deine Gefühle zulassen, dann wird alles gut!". Das ist mir zu schön, um wahr zu sein. - Aber bitte, bilden Sie sich selbst ein Urteil!

2018-05 | Statistik

Aufgrund der im Mai 2018 in Kraft tretenden DSGVO habe ich den Besucherzähler (AWstats) dieser Website abschalten lassen. Vorher hat mir mein Seitenprovider noch die statistischen Daten übermittelt. Demnach besuchen im Durchschnitt ungefähr 1800 Personen diese Seite pro Monat. Dies bedeutet ca. 60 Besucher am Tag und 20000 im Jahr. Es ist davon auszugehen, dass es überwiegend Betroffene sind sowie professionelle Helfer, die sich informieren wollen. Diese großen Zahlen meiner kleinen Seite freuen mich sehr und sie spiegeln den Bedarf nach Information, Aufklärung und Hilfe wieder.

2018-05 | Positionspapier

"Hinschauen, zuhören, helfen." Der Verbandsrat des paritätischen Gesamtverbands hat im April ein beachtliches und unterstützenswertes Positionspapier zur Versorgung von Kinder aus Suchtfamilien und zur Überwindung der versäulten Sozialrechtssysteme herausgebracht. Auf Nacoa.de ist ein lesenswerter Bericht, in dem die Kernthesen des Papiers zusammengefasst werden.

» Bericht
» Positionspapier

2018-04 | NACOA

Schattenkinder NACOA hat ein kurzes Video mit dem Titel "Schattenkinder" zur Problematik der Kinder aus Suchtfamilien veröffentlicht, auch um für sich zu werben und neue Mitglieder zu gewinnen. Das ist gut so. NACOA sollte viel größer werden, um mehr gesundheitspolitisches Gewicht zu bekommen und mehr Einfluss nehmen zu können.

» Video

2018-04 | Jubiläum

Unter dem Motto "Lebe jetzt!" feierte die Diakonie von Altenkirchen und des Westerwaldkreises 25 Jahre familienorientierte Suchtprävention. Der dortige Kollege Dirk Bernsdorff ist für mich ein Pionier und Vorreiter in der Angehörigensache. Faszinierend, was er über die Jahre für ein Netzwerk in der Region aufgebaut hat! Es war für mich eine Ehre, den inhaltlichen Impuls des Tages setzen zu dürfen. Mein Vortrag lautete: "Zur Bedeutung der Angehörigenarbeit - Ansichten eines Therapeuten". Das Wichtigste neben den Feierlichkeiten waren indes die vielen kleinen Pausengespräche mit in der Angehörigensache engagierten und qualifizierten Menschen und die Energien und Ideen, die vermutlich alle, so wie ich, mit nach Hause nahmen. So werden neue Projekte geboren.

» Thesenpapier

2018-02 | COA-Aktionswoche

Am Samstag den 10.02. hat unser Workshop "Meine Stärken, meine Sehnsucht" stattgefunden. Er war eine gemeinsame Veranstaltung von Günter Philipps als Vertreter der Gütersloher Suchtselbsthilfe, der niedergelassenen Psychotherapeutin Frau Barth und mir als Vertreter meines Klinikums. Gute Angehörigenarbeit braucht Vernetzung und Kooperation. Der Workshop war gut besucht. Und meine Kollegin Frau Barth fand abschließend schöne Worte, als sie ihre Bewunderung formulierte, mit wieviel Feingefühl und Wertschätzung sich die TeilnehmerInnen begegnet sind.

Der Workshop war Teil der bundesweiten Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien, die vom 11. bis 17.02. stattfand. Ziel der jährlich zum Valentinstag durchgeführten Woche ist es, den vergessenen Kindern eine Stimme zu geben. Die Veranstalter freuten sich über die gute Teilnahme mit insgesamt 110 Veranstaltungen und 20 Aktionen. Eine hoffnungsvolle Note erhielt die Woche durch den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, in dem explizit auf die Verbesserung der Situation von Kindern mit psychisch kranken Eltern eingegangen wird.

» Website
» Presseerklärungen

2017-12 | Wissenschaft

Die Universität Bamberg führt eine Studie durch, in der die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben bei jungen erwachsenen Kindern von Alkoholikern untersucht wird. Gut so! Das ist die Form von Wissenschaft, die wir brauchen.

» Zur Studie

2017-11 | Neuerscheinung

Angel, F. (2017). Mama Mutsch und mein Geheimnis. Wien: Jungbrunnen.

2017-09 | Neuerscheinung

Schottner, D. (2017). Dunkel Blau. Wie ich meinen Vater an den Alkohol verlor. München: Piper.

2017-07 | Wissenschaft

Das Angehörigennetzwerk AnNet ist ein partizipatives Forschungsprojekt, in dem die Angehörigen die Wissenschaftler sind, die Fragen stellen, forschen und diskutieren. Dies erweitert die Perspektive der Wissenschaft. Die untersuchte Gruppe ist kein Objekt, sondern wird zu Untersuchern, die (sich selber) beobachten und analysieren. Sie werden nicht zu Experten ihrer Thematik gemacht, sie SIND die Experten. Dadurch entstehen neue, unmittelbare Perspektiven. Im abschließenden AnNet-Arbeitsbuch sind die Ergebnisse und Erfahrungen auf sehr ansprechende Weise dargestellt - für Angehörige, Praktiker und Entscheider. Es ist beeindruckend, was Frau Dr. Schnute als Projektmoderatorin innerhalb von zwei Jahren gemeinsam mit den beteiligten Angehörigen und ihrem jungen Team an den zwei Standorten Hildesheim und Landau auf die Beine gestellt hat. Nachahmenswert! Wie es geht, steht im Buch.

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2017-04 | Kreuzbund

Im April war ich von der Selbsthilfe für Suchtkranke und Angehörige des Kreuzbunds in einer ostwestfälischen Kleinstadt geladen worden. Der Abend mündete in einen anregenden Dialog über die zwischenmenschlichen Abhängigkeiten zwischen süchtig und co-abhängig Betroffenen. Am Ende der Veranstaltung habe ich den Anwesenden empfohlen, mutig zu sein und eine eigene Angehörigengruppe zu bilden. Bislang werden die Angehörigen in der Stadt in die Suchtgruppen integriert. Ich bin ein Anhänger von getrennten Gruppen. Angehörige benötigen – wie auch Suchtkranke – Schutzräume, in denen sie wieder in Kontakt mit sich treten und Ansätze für eine gelebte Unabhängigkeit entwickeln können. Erst die Trennung schafft die Voraussetzungen für freie und partnerschaftliche Begegnung.

2017-02 | Film

Ein Teil von uns, Fernsehfilm der ARD: "Nadja hat ihr Leben endlich im Griff - ein guter, erfüllender Job, eine eigene Wohnung und eine neue Liebe. Dann taucht plötzlich ihre Mutter Irene auf und stellt all das scheinbar wieder in Frage." Ein beeindruckender Film über Nadja und ihre Leiden und Nöte als erwachsene Tochter einer alkoholkranken Mutter. Brigitte Hobmeier formulierte in einem Interview zu der Rolle wie folgt (2016): "Sie will meilenweit wegrennen und kommt keinen Millimeter voran. Ihr Selbstschutz wird zur Mauer, hinter der sie vor Einsamkeit fast krepiert." Der Film ist schonungslos und unprätentiös. Es wird nicht übertrieben und nichts schön geredet. Ich wollte immer wieder ausschalten und konnte es gleichzeitig nicht, weil es so ergreifend dargestellt wird, der Schmerz, die Scham, die Angst, der Ekel, die Wut, die Ohnmacht und immer wieder die Trauer. - Unbedingt sehenswert, aber nichts für Zartbesaitete!

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